Rund um Bacharach - Ein Blog von Friederike Schikora

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regionales Paradies: die Rheinanlagen!

regionales Paradies: die Rheinanlagen!

Wenn  selbst Pfiffi nicht mehr „Gassi“ gehen will, weil die Altstadt in der Hitze köchelt, fühlt sich pudelwohl, wo domhohes Gebäum den heißen Atem der B9 abfängt: in den großartigen Bacharacher Rhein-Anlagen.

Vor allem der weitläufige Rasen ist heiß begehrte Lagerstätte!

 

 

Kaum hat man sich`s im Gras bequem gemacht, schweift der Blick über einen Silbersee aus Glitzerwellen kilometerweit rheinaufwärts bis zum Horizont. Dort wummern, wie aus dem Nichts herbeigezaubert, auf Nasenspitzen-Höhe Schiffe noch unklarer Bauart.

Sie kommen, platt wie Streichholzschachteln,

angekrochen, wo der Rhein wie aus der Welt hinaus fließt, backbords schnell noch besprengt vom Segen der Trechtingshäuser Clemenskapelle, und lassen sich Zeit.

 

Schiffe kommen auf Nasenspitzen-Höhe angekrochen

 

Die Sonne scheint, am Himmel malt ein Flieger seine Silberspur ins wolkenlose Blau und berieselt die Idylle mit dem Bassgebrumm der neuen Zeit.

Auch die Tierwelt gibt sich voll in ihrem Element.

Im Blättermeer von Eichen und Platanen zetern die Dohlen mit dem Schicksal, Bienen summen um die Blüten von Jasmin und Kletterwicken, vom Rhein her quakt die Ringelente – und in einem fernen Winkel seiner Seele spürt der Mensch, dass ihn und Deutschlands größten Strom weit mehr verbindet, als er bisher ahnte.

Den Rhein und mich verband schon immer unerhört Persönliches. Viele meiner Zeitungsberichte der Sommermonate 1984 bis 95 erlebten ihre kreative Blüte in den Bacharacher Rheinanlagen. Mein Arbeitsplatz lag abseits schwatzhafter Gehwege unter einer damals noch recht kleinwüchsigen Platane.

 

mein Lieblingsplatz: unter der Platane!

 

Die hielt schüchteren Abstand zu einer stolzen Pinie, einem Import-Gewächs von den Canaren, das nach hundert Siegen über tödliche hohe Wasserstände vor Robustheit nur so strotzte.

Uns drei störte weder Bahnlärm noch die B9,

obgleich hier zeitweise ordentlich was abging: am Stadtrand huschte der ICE vorbei, auf der „ebsch Seit“ rappelte der Güterzug im wirren Gleichmaß einer Kompanie von Blechdosen rheinabwärts Richtung Amsterdam, und kaum klang das Spektakel ab oder auch nicht, hupte mit infernalem dröhnen der alte Diesel-Motor eines Schleppkahns aus dem Wellenmeer der Fahrrinne.

 

Pinie: robustes Importgewächs von den Canaren

 

Ich lauschte mit verschrecktem Heimatstolz dem Anschlag hinterher, wie sich sein Echo im Zickzack durch das Rheintal bellte bis hinauf zum Mäuseturm, und dann fiel mir in aller Regel eine Formulierung ein, die genial gestrickt war, und ich ergab mich voller Urvertrauen in die nächste Schrecksekunde. Die kam, aber in aller Regel anders als erwartet:

die Dohlen griffen an!

Dohlen sind Vögel, die uralt werden und demnächst vielleicht unsterblich, weil der Naturschutz das Überleben ihrer Art verteidigt bis Blut kommt. Und weil der Sprecher der zuständigen Behörde mir auf Nachfrage „mit juristischen Schritten“ gedroht hatte, falls ich den Viechern „etwas antun“ wolle.

 

zwischen den Bäumen lockt der Palisadengang der Stadtmauer

 

Dies nun sollte nicht geschehen, obgleich mir schwer fiel, hier die Contenance zu wahren: Die schwarzen Geister stürzten kreischend aus der unsterblichen Pinie, fegten messerscharf an meinem Ohr vorbei und schnappten sich im Rückflug die aktuelle Manuskriptseite mit ausgerechnet jener so genial gestrickten Textpassage.

Ihr Lieblingsfeind: arglos bummelnde Touristen

Der Lieblingsfeind der rabiaten Schwarzröcke aber waren arglos bummelnde Touristen-Schwärme, die offenbar von dort her kamen, wo es keine Dohlen gibt. Ein Luftangriff auf ihre ahnungslose Unschuld versöhnte mich wieder mit dem Leben, der Rest Unmut verflog beim Texten.

 

die Promenade: auch ein Jagdrevier der Dohlen

 

Ich konnte sogar köstlich schlafen im Getümmel und auch recht unbesorgt, weil ich nicht die Gewohnheit pflege, mit aufgesperrtem Mund zu träumen. Die Dohlen liebten es, im Flug zu kacken.

die Nil-Gans kommt!

Inzwischen sind die Schwarzröcke fast von der Bildfläche verschwunden. Eine gewisse Nil-Gans aus Ägypten hatte vorübergehend den Mittelrhein zur neuen Heimat auserwählt und die Dohlen mit ihrem Tote weckenden Trompetenstoß in die Flucht geschlagen.

 

die Nil-Gans: rotzfrech aber kamerascheu ….

 

Sie ist von edlem Wuchs, die Nil-Gans, und zweifellos bildschön, macht aber Krach wie ein Trupp Kegelbrüder aus den Siebzigern, vermehrt sich hemmungslos und kackt alles voll. Und kaum dräute der Tag, bezog sie Posten auf  der denkmalgeschützen Mauerkrone unserer Werkapelle.

Von dort herab steckte sie, zeternd wie der Gockel auf dem Mist, ihr zugereistes Revier ab. Wer zu der Zeit noch in den Federn lag, konnte sich den Wecker sparen.

Über Nacht aber brach ein wehrhaftes Geschwader Graugänse in die Bacharacher Rheinanlagen ein und schlug in einem bissigen Revierkampf die Gäste aus dem Land der Pharaonen in die Flucht. Nur noch „am Ketzer“ dümpeln im Uferwasser zwei Stück Federvieh vom Nil.

 

Traumblick von der Mauerkrone für zugereistes Federvieh

 

Zurück zu meiner kleinen Platane: die hat längst mächtig aufgeholt. Sie ist riesengroß geworden, kerzengrad gewachsen, eine perfekte Schönheit unter Gottes freiem Himmel und von allen Seiten Schokolade. Wir sehen uns täglich, träumen von alten Zeiten und wissen, was wir voneinander haben.

Jeder Mensch braucht einen Baum, mit dem ihn irgendwas verbindet!

Letztes Jahr hatte ein Ehepaar aus Bingen meinen alten Arbeitsplatz unter der Platane in Beschlag genommen und dort glücklich die brüllend heißen Sommermonate überlebt. Im Liegestuhl mit Fresspaket und Tageszeitung und täglich einem berauschenden Cafe´ to go, gereicht von einer liebenswerten Hand aus dem Kiosk der „Bingen-Rüdesheimer“.

 

Picknick mit Blick auf`s Wasser und die Insel

 

Erstaunlicherweise gibt es eine „historische“ Verbindung zwischen Wernerkapelle und den Rheinanlagen: Letztere wurden u. a. mit jenem Erdreich aufgeschüttet, das man einst beim Bau der Kapelle ausgehoben hatte. Auslöser war der Feuerteufel. Der hatte 1872 einen Großteil der Stadt in Schutt und Asche gelegt und die Bevölkerung in bettelarme Not gestürzt.

Doch die Verheißungen der neuen Zeit lockten schon am Horizont. Rheinauf, rheinab erhoben sich benachbarte Gemeinden aus dem Schutt der Kriege. Heilsbringer war der gerade aufkommende Tourismus, eine Erfindung reiselustiger Engländer.

Schmuggelei und Brandstiftung adé,

hieß das für`s kleine Bacharach. Jetzt galt es, die Welt ganz neu zu denken!

Den „Fremden“ wurde ein roter Teppich ausgerollt, der seinesgleichen suchte in der alten Welt: man schüttete das große Hafenbecken zu, pflanzte darauf Bäume, was das Zeug hielt, und bestückte den unverhofften Landgewinn mit ziegelroten Sitzbänken. Fortan steuerte die Köln-Düsseldorfer Schiffahrtsgesellschaft Bacharach mit ihrer „weißen Flotte“ an.

Zwar kam Eisgang auf mit Schollen, groß wie Scheunentore, und säbelte den jungfräulichen Baumbestand wieder vom Acker. Das aber konnte den Aufbruch in den Glanz der Zukunft nicht mehr bremsen.

Legionen von „Fremden“ stürmten die Altstadt,

ließen in Straußwirtschaften und Hotels die neumodischen Registrierkassen klingeln, und die Bänke in den Rhein-Anlagen wurden immer zahlreicher.

Heute sind sie braun, und die meisten tragen Schilder auf der Rückenlehne. Eingraviert sind die Initialen heimattreuer Spender, deren Herz danach verlangt, die Bereitstellung von Hockgelegenheiten auf einer Scholle mit historischer Vergangenheit zu finanzieren.

Eine Bank gab lange Rätsel auf.

Auf ihr stand „gespendet von Onkel Willi“. Wer war Onkel Willi? Kein Mensch wusste das. Er musste uralt gewesen sein oder schon lange unter der Erde, denn “seine” Bank sah schon immer ziemlich ramponiert aus.

 

war immer rot: die Bank von Onkel Willy

 

Zwar hätte man die Stadtverwaltung um Lüftung des Geheimnisses bitten können, aber das hat, soviel ich weiß, nie jemand gemacht. Für schonungslose Klarheit, in welcher Angelegenheit auch immer, steht keine Bank am Rhein.

Eine Sitzgelegenheit mit Blick aufs Wasser ist einzig für`s Geschwätz gedacht, zum “Schiffe-” und “Touristegucke”, und um dabei vom hundertsten ins tausendste zu kommen.

Wenn auch nicht zum Amüsement für Jedermann, der dort grad vorbei läuft. Der fühlt sich schon mal wie zum Abschuss frei gegeben, wenn er mit Blicken torpediert wird, bis er aus dem Tritt gerät. Erfahrene Parkbesucher weichen deshalb gerne auf unbewachte Wege aus.

Unbestritten aber: die soziale Komponente einer Bank am Rhein!

Kaum läuft im Leben etwas aus der Spur,  drängt es viele Bacharacher “erst mal runner an de Rhein”. Zum Durchatmen und die verstolperten Gedanken ordnen.

So sieht man denn auch immer wieder irgendjemand auf einer Bank vor dem Köln-Düsseldorfer Steiger sitzen, im stummen Dunst des Morgennebels, den Mantelkragen hoch geschlagen, fast unsichtbar und doch so aufgeblasen unauffällig in die grauen Schwaden längs der Promenade blinzelnd, dass offenkundig wird: hier verdaut ein Mensch gerade ein Problem und will nicht, dass das irgendjemand spitz bekommt.

 

nicht zu verachten: als Mensch, mit sich alleine, auf einer Bank im Morgendunst…

 

Ist der doch endlich ganz mit sich alleine aber nicht wirklich verloren einsam, weil vor ihm auf dem Wasser ein halbes Dutzend Schiffe tuckert und ab und zu jemand an ihm vorbei den Pfiffi Gassi führt.

Das fördert die konstruktive Auseinandersetzung mit dem Leben, und das sorgenschwere Herz fühlt sich getröstet und verstanden von der Heimat und der Welt.

Das läuft so, seit ich denken kann, weil der Rhein wie jeder Fluss ein „Ort der Kraft“ ist, der aber im Fall von Deutschlands größtem Strom derart heftig strahlt, dass selbst abgeklärte Wissenschaftler auf seinen Zauber setzen, der nicht in die Formel passt, wenn er nur ungebrochen weiter strahlt. Beredtes Zeugnis dafür ist

“die Bank des Heils”

(Volksmund). Auf der konnte einst ein stadtbekannter “Schiffischer”, alt wie Methusalem und ein echtes Bacharacher Original, dreimal nacheinander wieder Platz beziehen, nachdem er unerwartet von den Toten auferstanden war.

 

„die Bank des Heils“ gibt`s nicht mehr, das Rosenbeet nicht und die Pappeln im Hintergrund  auch nicht

 

Niemand hatte mehr auf seine hinfällige Gebrechlichkeit gesetzt, jedes Mal nicht, wenn der Notarztwagen mit ihm Richtung Krankenhaus davon geschossen war und bei seiner aufgelösten Ehefrau im Hinterkopf schon einmal der korrekte Wortlaut für die Trauerkarten zu rotieren an fing.

Doch das jeweils gute Ende einer dramatischen Geschichte

wiederholte sich im Rhythmus von drei Jahren, ganz nah am Ufer, den Steiger der KD zur Linken, flankiert vom flackernden Rosenbeet und den Feldstecher auf Augenhöhe, mit dem zusammen der alte Herr den Zweiten Weltkrieg und ein Jahr Gefangenschaft in Frankreich überlebt hat.

Die ganze Stadt nahm Anteil an diesem unfassbaren Auf und Ab im Leben eines Fünfundachtzigjährigen!

 

Höhepunkt des Tages für den „Schiffische“: die Goethe kommt!

 

Nicht zuletzt zauberte die offizielle Rückkehr auf die Parkbank bei seiner Ehefrau frischen Wind in die ereignisarme Abgeschiedenheit des Alters. Der letzte relevante Höhepunkt in der Dame Vita war die Silberhochzeit vor einer Handvoll Jahren gewesen, bei der die halbe Stadt mit vollem Herzen laut zu Gast sein durfte.

Danach jedoch drohte ihr Alltag alle Jahre wieder am menschenleeren Bacharacher Winter und dem schweigsamen Gemüt des Ehegatten zu erlahmen, wenn, ja wenn den Mann nicht im zuverlässigen Dreijahresrhythmus seine lebensbedrohlichen Zusammenbrüche ereilt hätten.

Schiffe, Schiffe, nochmal Schiffe …

Der alte Herr kannte jedes Schiff beim Namen, das Stromkilometer 543 passierte, den Standort Bacharachs auf dem offiziellen Längenmaß für große Fließgewässer.

Mehr noch: er wusste immer auch, welches Gefährt gerade am Horizont die Silberschnur des Rheins bekroch, lange noch bevor wer anderer erkennen konnte, ob das konturenlose Etwas dort ein Schleppkahn war oder nur ein toter Ochs, der auf dem Wasser trieb.

Dem Adlerblick seines kriegstauglichen Feldstechers entging gar nichts, auch wenn der Mann nicht mehr mit voller Sehkraft „aus dem Feld” zurückgekommen war.

 

immer was los auf dem Wasser: hoch beladen unterwegs nach Rotterdamm

 

Geredet hat er wenig, wenn er so vor sich hin saß und einmal nicht durch sein gewitztes Glasrohr den Schiffbetrieb des Rheintals inspizierte. Aber immer hat er fromm zurückgegrüßt. Sterben musste er trotzdem. Ich vermisse ihn!

Mit ihm ging ein Stück Heimat …

Gelegentlich aber, wenn der Morgennebel um die ominöse „Bank des Heils“ geistert, sitzt er wieder hart am Rosenbeet, der alte „Schiffische“. Wie herbei geweht aus fernen Tagen, als eine Wellness-Kur auf den Malediven noch kein Thema war und sich alles „erst mal runner an de Rhein“ trollte,  wenn der Stress im Alltag überhand nahm.

Ich sage dann „Hallo Herr Sowieso“, obwohl ich weiß,  dass er schon längst woanders sitzt, und wärme mich an einem kleinen Zauber der Erinnerung, der immer bleibt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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