Wo immer der E-Scooter mit Theo Herter auf der Bildfläche erscheint, rollt im Schlepptau ein Schweif köstlicher Erinnerung an das traditionelle, unerhört geräumige Burg Café und seine legendäre Kuchentheke. Heute ein Stück aussterbendes Kulturgut, denn die internationale Konkurrenz von Schnellback-Factories und Bistros geht kleinen Familien-Betrieben gehörig an den Kragen.
Fast vergessen ist, dass es in Bacharach einmal vier Bäckerei-Geschäfte gleichzeitig gab. Alle Besitzer haben gut davon gelebt, die Herters noch bis 2006. Ihr erster Vorfahr übrigens war 1776 ein zugereister Sponsheimer.
200 Jahre später und „verwandt mit halb Bacharach“ (Volksmund), erwirtschafteten die Nachfahren mit dem Burg Café wahre Umsatzrekorde.
Was zunächst nicht alles ist, worüber es sich zu berichten lohnt. In einem langen Bäckermeister-Leben wie dem von Theo Herter dreht sich nicht immer alles um Kuchenbäckerei und Sauerteig. Man ist fast überall Vereinsmitglied, was auch gut ist fürs Geschäft, und engagiert sich fürs Gemeinwohl.
Theo Herter war ein umwerfend strahlender Tenor des Bacharacher Männergesangvereins. Doch bei einem Vierthälersingen in den Neunzigern vor der Alten Mühle war sein Feuer in den hohen Tönen urplötzlich unerwünscht.
Zwischen Steeger und Bacharacher Sangesbrüdern waren Händel ausgebrochen. Warum, wird hier nicht preis gegeben, es ist unanständig lange her und der Stuss im übrigen verjährt. Ein Steeger Rauhbein jedenfalls war auf den Tisch gesprungen, hatte gebrüllt “Bacharacher Dippescheißer“, Stüber`s Fred „dumme Bauere“ zurück gekläfft und der Theo mir ins Ohr gezischt: „Weg hier, gleich gibt`s Klöpp!“
Der korpulente Dirigent, nur den feinen Tönen zugetan und völlig außer sich, musste von zwei Sangesbrüdern am Arm hinaus geleitet werden. Ihm zitterte das Doppelkinn, als sei am Münzbach ein Erdbeben ausgebrochen. Meine Wenigkeit, im Einsatz für die Rhein-Zeitung, stolperte aufgelöst in des Maestros Kielwasser. Was aber nicht annähernd so erwähnenswert ist wie
Die hochgezuckerten Köstlichkeiten waren die Attraktion in Herter´s Burg Café am Engpass auf der Oberstraße. Ob Sacher-Torte oder Frankfurter Kranz, ob Apfel-, Streuselkuchen, Bienenstich und Käsetorte, alles war noch gezaubert von Theos Meisterhand persönlich nach althergebrachter Rezeptur.
Die Leuchtkraft himmlischer Verführung hinter Glas verfügte über die Gabe, todsicher Diätpläne über den Haufen zu werfen.
Geschätzt auch waren die kommoden Platzverhältnisse im überaus geräumigem Café. In der hastigen Welt der Schnellback-Factories von heute suchen sie weithin ihresgleichen. Es gab unterm Tisch noch reichlich Platz für lange Beine und bequeme Hockgelegenheit auf breiten Bänken mit viel Spielraum ums Gesäß herum für korpulente Schwergewichte.
Kaum vorstellbar in jenen Jahren die auf schnellen Umsatz erpichte Sitz-Kultur von heute mit Melkschemeln, wo betagte Herrschaften, wie Hühner auf der Stange kauernd, ihren letzten Halt verlieren.
Bei Herters konnte es sich der Kunde noch gemütlich machen, bis die letzte Neuigkeit von der Gerüchtefront unters Volk gebracht war.
Doch der Weg auf die profitträchtige Ortsdurchfahrt war lang und zog sich durch die Bacharacher Langstraße. Dort betrieben Theo Herters Großeltern, Jakob und Luise Herter, zunächst das
(neben dem ehemaligen „Kretsche Haus“).
1904 erwarb man fünfzig Meter weiter eine Bäckerei nebst Kolonialwarengeschäft. Letzteres noch ganz im Geist der alten Zeit mit ausladender Verkauftheke zum geduldigen Anstehen für die Kunden und einem Extra-Service „frisch gerösteter Kaffee“ (Foto unten).
Das Geschäft lief bestens und lockte sogar Kundschaft aus der ganzen Stadt an. Immer aber hatte die Familie die lukrative Lage auf der Bacharacher Ortsdurchfahrt im Visier.
Theos Eltern, Jakob und Katharina Herter, eröffneten Café und Bäckerei im Engpass und dort am Eingang zum „Brandgässje“.
Der Betrieb rotierte bald auf Hochtouren. Für Theo Herter hieß das unermüdlich weiter Nachtarbeit und tüchtig durch- und vorarbeiten für das Wochenend-Geschäft und das von freitags elf Uhr morgens bis Samstag Mittag.
Jeden Tag um vier Uhr früh sprang im Erdgeschoss die Teigmaschine an, schickte ihr unterirdisches Gebrumm bis unters Dach und machte unmissverständlich klar, dass ohne Sauerteig nichts lief in diesem Haus.
Doch die dreißig Sitzplätze im Café waren dem Zulauf der Kundschaft bald nicht mehr gewachsen: Der Bus-Tourismus lief auf Hochtouren, montags und freitags fuhren die Senioren mit der Köln-Düsseldorfer Dampfschifffahrt zum halben Preis, was zur Folge hatte, dass die Gäste in Kompanie-Stärke in die Stadt einfielen. Eine räumliche Vergrößerung war dringend angesagt.
1976 wurde das Anwesen nebenan erworben, abgerissen und sturmreif ausgebaut zu einem
Sogar die Allgemeine Zeitung hatte Heinz Zell geschickt, ihren populären Fotografen mit der Super-Linse, um für die Ewigkeit festzuhalten, wie im krottenschmalen Engpass unter donnerndem Getöse ein altes Haus von der Bildfläche verschwand.
Auch personell war man bestens aufgestellt für das ganz große Geschäft, denn sieben Jahre vorher hatte sich Bahnbrechendes ereignet. Es hatte „gefunkt“ zwischen Theo Herter und der schönen Touristin Ellen Witthuhn aus Hannover.
Stätte der Entscheidung: die lauschige Enge im Restaurant des historischen MARKT-TURMS mit seiner kuriosen Tanzfläche, die ob ihrer Winzigkeit nur im Klammer-Blues bezwingbar war.
1965 übernahm man als Ehepaar alleinverantwortlich das Familienunternehmen. Mit durchschlagendem Erfolg: Das Burg Café avancierte zur einer der umsatzstärksten Attraktionen im Bacharacher Tourismus. Theo Herter stolz:
Werbung wurde nie betrieben. Die althergebrachte „Mund-zu-Mund-Popaganda“ sorgte dafür, dass der Erfolg dem Burg Café gewogen blieb. „Rasseln fürs Geschäft“ galt vielfach noch als aufdringlich und unseriös. Die Familie setzte auf den guten Ruf als Resultat von Tüchtigkeit und Leistung.
Die Strategie ging auf: In aller Regel war Herters Kuchentheke am Abend geplündert bis auf den letzten Krümel Streuselkuchen.
2000 übernahm Sohn Matthias bis 2006 Café und Bäckerei. Danach erwarb Familie Stiehl Haus und Geschäft. Zurzeit ist es geschlossen.
Stille geistert um die Ecke mit umtriebiger Vergangenheit aber nicht durch des Bäckermeisters Ruhestand:
Seit ihn die Füße nicht mehr tragen, hat er die Vorzüge des E-Scooters entdeckt. Täglich zuckelt er sechs Kilometer die B9 entlang bis hin zum Denkmal am Pfalzgrafenstein, grüßt, wie er stolz bekennt „mit angemessenem Respekt Fürst Blücher“, dreht noch ein paar Schlenker durch die Anlagen, füttert am Rheinufer die freche Nilgans und schwenkt ein zum Rentner-„Stammtisch“ am KD-Kiosk.
Dort warten die Jahrgangskameraden, fast alle über achtzig, immer pünktlich morgens um 11.00 Uhr und freilich auch bei Wind und Wetter.
Theo Herter hält stets einen Flachmann mit Schnaps im Gepäckständer bereit, weil es auf der Terrasse der KD-Agentur im Winter empfindllich von unten in die Hosenbeine zieht.
Das Prösterchen an kalten Tagen wird hoch geschätzt, auch wenn gelegentlich mal „Knies“ in heimischen Gefilden ansteht, wenn die Ehehälften bereits in Hochstimmung am Mittagstisch erscheinen.
Doch auch die Vergangenheit lebt auf, wenn man erst mal achtzig ist, und Währungsreform, Fliegeralarm, Hungersnot und andere Querschläge des Schicksals überlebt hat.
Zwei Nächte schlug man sich einst um die Ohren, um dem Wasser im Keller Herr zu werden, das bis ins „Brandgässje“ geschwappt war. Zeitweise kamen vier Pumpen zum Einsatz!
Eine ungeheuerliche Attraktion war das, von der als Augenzeugen nur noch ganz alte Bacharacher wie die vom Rentner-Treff an der KD erzählen können: Der Rhein war komplett von einem Ufer bis zum anderen zugefroren! Auf ins Eis getrampelten „Indianerpfaden“ pilgerten aus allen Himmelsrichtungen angereiste Schaulustige quer über die Fahrrinne bis auf die „ebsch Seit“, fasziniert von einer Glitzerwelt aus mannshoch aufgetürmten Schollen, viele groß wie Kellertüren.
Der kuriose Wallfahrt an den Rhein hatte auch für unverhofften Umsatz in der „toten“ Jahreszeit gesorgt. Betreiber von Glühweinstand und Bratwurst-Grill machten mitten auf dem Eis ihr exotisches Geschäft des Lebens.
Und weil das Ereignis so unerhört besonders war: hier ein Bilddokument mit Eisschollen, die über die Promenade geistern, im Hintergrund die dunstgeschwärzte Insel und ganz links die vom Treibeis hoch gestemmte Landebrücke.
Schließlich flammt, so ist das, wenn man erst mal achtzig ist, die Erinnerung an die ganz frühen Jahre auf. Für Theo Herter unvergessen ist das die Lehre in der Bäckerei Kuhn in Simmern, allerdings wurmt ihn noch heute die geizige Entlohnung dort:
Auch an die Meisterschule 1961 in Olpe denkt er gern zurück.
Jetzt ist der Mann zweiundachtzig Jahre alt und hinter ihm liegt das erfüllte Leben eines erfolgreichen Mittelständlers vom ganz alten Schlag.
Sein Unternehmungsgeist indes ist ungetrübt, wie schon erwähnt, wenn auch dezent ans Alter angepasst: Im Haus wohnt Sohn Matthias, gleich in der Nachbarschaft gibt es die Tochter, den Schwiegersohn und das Enkelkind, außerdem den Rentner-Treff an der KD, eine Stadt voller Gesichter, die ihm von Kindheit an vertraut sind und das vernaschte Federvieh vom Rheinufer, das längst geprägt ist auf sein täglich Toast-Brot von „dem Theo“. So kann´s weitergehen.