Wer findet schon den Weg dorthin! Ein Schlitz von Eingang vis-à-vis des Hotel „Gelber Hof“ hält fast davon ab, eine urbane Lichtung glückverträumter Abgeschiedenheit zu betreten, die weithin Ihresgleichen sucht.
Doch es gibt ihn, den „Malerwinkel“, am Ostende der Stadt, wo der Bach noch plätschert unter puppenkleinen Bogenbrücken aus ergrautem Bruchstein und flüstert: „Genieß die Stille hier und lass die Seele baumeln.“
stimmt nach wenigen Schritten ein Schild mit strengem Blick den Gast auf den korrekten Umgang mit einer bezaubernden Idylle ein. Völlig zurecht, denn am Treppenaufstieg zur Burg Stahleck verhunzten einst die Nachbarn von der Blücherstrasse, bedacht darauf, dass ihr Pfiffi beim Pippimachen nicht die belebte Ortsdurchfahrt verschandelt, den Bummelweg am Münzbach gerne zum stillen Örtchen für Vierbeiner.
Der Zeigefinger an der Felswand hat mit der Ferkelei erfolgreich aufgeräumt.
Der „Malerwinkel“ war bereits ein geschätzter Flecken Bacharacher Wohnromantik, als es im Rheintal noch keine Kanalisation gab. Zu jener Zeit liefen die Abwässer der Stadt in sogenannte Sickergruben und im „Malerwinkel“ vielfach munter aus Rohren oder Löchern in der Hauswand „runner in die Bach“. Den Rest erledigte die selbstreinigende Nutzfunktion von Bachläufen .
Was kein rückständiges Zivilisationsgebaren war sondern weit verbreiteter Hygiene-Standard im Rhein-Tal, dessen ungeachtet aber heute noch Gesprächstoff liefert für`s amusierliche Gespött. Ein Ortsvorsteher vom Hunsrück einmal stolz: „Ihr Bacharacher habt noch über de Balke geschiss, als bei uns schon lang Kanal gelescht war“.
Jene Zeit erzählt ein Histörchen aus der frühen Kindheit. Übermittlerin: Rosel Grimm, geborene Kettermann. Titel:
(Willst Du mal hören, wie ein altes Weib Pippi macht). Freilich wollten alle und die Kids von damals flitzten los. Über`s stummelkurze Brückelchen an der „Pension Malerwinkel“ steil „die Gass hoch“ vor die Haustür am frommen Fachwerkhaus.
Dort wurden in abgebrühter Entschlossenheit die welken Schnitzereien an der Haustür mit dem Fuß traktiert, bis vom Fachwerk nebenan der Putz ab sprang.
Das wiederum trieb die alte Frau im Stockwerk oben drüber, in fernsehlosen Zeiten damals schon um acht im Bett, vor Schreck der Inkontinenz in die Arme und in Panik auf ihr stilles Örtchen. Sekunden später rauschte die Not der aufgeschreckten Alten an der Hauswand „runner in die Bach“ (Dialekt).
Ach ja der Münzbach. Der machte in jenen Tagen bei sorgfältiger Betrachtung kein glückliches Gesicht: Auch die ewig lange Blücherstraße hinauf bis ins letzte Haus von Steeg wurde die steinzeitliche Abwasser-Entsorgung praktiziert.
Unnötig, näher zu erläutern, welcher Anblick sich dem unschuldigen Betrachter bot, wenn im Malerwinkel die Mesalliance aus Steeger und Bacharacher Darmentleerung in trägen Wirbeln um die Kieselsteine kreiste.
Doch zu jener Zeit haben bereits die immer schon penibel auf Reinlichkeit bedachten Malerwinkler mit Bohnenstangen im Bach nach Steeger Klopapier gestochert, überrascht gelegentlich von Treibgut der makaberen Art: Ein toter Hund soll auch einmal dabei gewesen sein.
Als dann endlich der Segen der Kanalisation über Bacharach kam, schlug für das malträtierte Fließgewässer die Stunde umweltfreundlicher Erneuerung. „Die Bach“ (Dialekt) wurde blitzsauber, es duftete nach Moos und wildem Efeu, nach frisch gemähtem Gras und Flieder, und die Forelle zog wieder ihre Silberschleifen zwischen Riesenfarn und Kieselsteinen.
Nicht zuletzt zog auf den Rasenflächen vor den Fachwerkhäusern mit komfortablem Gartenmobilar eine Art altdeutsche Wohnbehaglichkeit ein. Wer heute dort vorbei läuft, will für immer bleiben!
Die bemerkenswerte Auferstehung des „Malerwinkels“ aus den Nachwehen des späten Mittelalters bringt gelegentlich sogar den grauen Liebes-Turm im Hang zum Strahlen.
Der sticht hoch über dem Treppenaufgang zur Burg Stahleck einsam in den Himmel und heißt aus gutem Grund so, wie er heißt. Als er noch zur Stadtseite hin komplett offen war wie früher alle Türme hier, diente sein erstes Stockwerk als offizieller Schlupfwinkel für die Gruppenabende der örtlichen Pfadfinder.
Allerdings nur bis Einbruch der Dunkelheit. Kaum hatte alles Jungvolk das Feld geräumt, rückten die Liebespärchen der Stadt nach, um sich zwischen Spinnweben, Feldbetten und Rosshaarmatratzen dem Schrecken einer Liebe ohne Pille hinzugeben.
Normalerweise zeigt der Liebes-Turm ein verschlossenes Gesicht. Das rührt von seiner zahlenmäßig knauserigen Ausstattung mit puppenkleinen Fenstern her, was ihm das schwermütige Konterfei eines Verlieses verpasst, in das ein barmherziger Hammer kleine Gucklöcher für die Verdammten geklopft hat.
Ach wie das täuscht! Im Innern schwimmt das düstere Gemäuer geradezu im Licht, weil sich die Fenster jeweils gegenüber liegen und aus allen Himmelsrichtungen die liebe Sonne in den Turm lacht.
vorzugsweise aber von toleranten Seelen naturverliebter Sonderlinge, die sich der mausestillen Abgeschiedenheit seines Standortes gewachsen gefühlen.
Und angelockt vielleicht von der Vision, als offizieller Untermieter der Stadt Bacharach einmal zur Geisterstunde vom Bett aus dem Ruf der Schleiereule auf dem Fenstersims zu lauschen.