Rund um Bacharach - Ein Blog von Friederike Schikora

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Brunnen-Geflüster

Brunnen-Geflüster

Nichts als ignorante Leere füllte einst in der Langstraße die tote Ecke vor dem Teppenaufgang zur Stadtmauer. Ein urbanes Niemandsland war das, der verstaubte Klecks von gar nichts inmitten unserer bunten Fachwerkhäuserwelt, nix, absolut gar nix, was Spuren innerstädtischen Lebens hätte ahnen lassen.

Bis dort das stattliche Gemäuer eines Ziehbrunnens aus dem späten Mittelalter Auferstehung feiern durfte.

Zu verdanken ist dies findigen Experten unseres Geschichtsvereins.

Die waren (es ist schon dreißig Jahre her!) im Frankreich-Urlaub fündig geworden. In der „Stadt der Liebe“ und dort beim Bummel über den berühmten Trödelmarkt. Im Gewimmel ausrangierten Hausrates stach ihnen die Kohlezeichnung einer alten Brunnenstelle ins Auge. Die war flankiert von einem alten Fachwerkhaus, das in Bacharach jeder kennt. Dem „Kretsche-Haus“*) in der Bacharacher „Unnergass“.

Glücksfund vom Trödelmarkt (Archiv Geschichtsverein)

Das durfte nicht ohne Konsequenzen bleiben. Schnell wurde der Schmuddelfleck am Fuß der alten Stadtmauer nach einem Loch im Boden inspiziert,

und der Suchtrupp wurde fündig!

Der Schacht wurde wieder ausgehoben und der Wasserstelle ihr althergebraches outfit verpasst: ein dickwadiger Brunnenrand mit stilgerechtem Obendrüber aus robustem Schieferbruch und einem Querbalken zur Befestigung der Transportwinde für den Zieheimer. Die „Grube Rhein“, in Spenderlaune, steuerte stabile Schieferplatten für die Abdeckung des Brunnenrandes und der Treppenstufen bei.

hier geht es der Schmuddelecke an den Kragen (Foto Geschichtsverein)

Der Weg zog sich bis zur Fertigstellung des exzentrischen Projektes und schmerzlich ungewohnt waren die Bauarbeiten für die ehrenamtlichen Helferiche des Vereins.

Vor allem musste unerhört gegraben werden:

zehn Meter tief! Man stieß sogar auf Wasser. Letztlich gingen drei Jahre ins Land, bis der Brunnen fix-und-fertig stand.

Buddelei bis Wasser kam, zehn Meter tief! (Foto Geschichtsverein)

Sogar die Presse nahm Anteil am Erfolgserlebnis, weshalb auch meine Wenigkeit mit dem Blöckelchen auf Achse war, als die „Unnergässer“ ein Richtfest der Sonderklasse auf die Beine stellten. Mein Bericht in der Rhein-Zeitung vom 28. 7. 1992 lockt Erinnerungen aus dem Tiefschlaf und macht peinlich klar, wie schnell die Zeit vergeht.

So richtig heimelig hat sich das angefühlt damals,

bei Kaffee, Kuchen und Torte – freilich alles selbst gemacht – und Weck, Worscht und Wein und Stimmung bis zur Geisterstunde an herrlich wackeligen Tischen auf dem abgewetzten  Kopfsteinpflaster.

Fest steht, seit der Brunnen vor dem „Kretsche-Haus“*) von den Toten auferstanden ist, passiert kein Gast mehr ohne einen Seufzer der Begeisterung  das Schmuckstück in der Langstraße.

Schmuckstück! Rechts Aufgang zur historischen Stadtmauer

Was nicht alles ist, was besagte Brunnenstelle heute noch besonders macht. Hier wird zusammengehockt wie im Mittelalter. Auf der Sitzbank vor dem alten Zieheimer, mittags, wenn die Ortsdurchfahrt unter der Hitze ächzt, dass selbst der Dackel vor dem „Gassigehn“ den Schwanz einzieht.

Immer dann rottet sich im kühlen Winkel hier die Nachbarschaft zusammen und hält Schwätzchen wie in fernen Zeiten, als es weder Fernseher, noch Telefon noch facebook gab.

richtig alt: „Kretsche-Haus“*)  und gemütlicher Treff der Nachbarschaft 

 

Ausgerechnet in der „Unnergass“, der

verkannten Meile

unter den berühmten Attraktionen Bacharachs, wo es im Winter manchmal wochenlang nicht richtig Tag wird, wo schon die Schatten fallen, wenn das Rheintal noch im Glanz der Abendsonne flimmert, wo kein Bus hält und kein Intercity und selbst die Hunde leiser bellen als am Marktplatz. Und wo nur entlang läuft, wer vor allem seine Ruhe haben will.

Und wem verdankt die „Unnergass“ ihre pittoreske Attraktion? Einem Gast aus ferner Zeit. Der hieß Lambert Doomer und war jener Künstler, der den Überraschungs-Fund vom Trödelmarkt gezeichnet hat.

Hinweis-Tafel am „Kretsche-Haus“*), Spende des Geschichtsvereins

Als Maler aus den Niederlanden ist der Mann bis heute weltbekannt. Er soll auch Meisterschüler eines gewissen Rembrandt gewesen sein, der mit vollem Namen Harmeszoon van Rijn hieß, und als genialer Künstler des niederländischen Barock gefeiert wurde.

Als solcher hatte er sich im Jahre 1663 auf den Weg ins Rheintal gemacht. Sein Ziel: mit spitzen Kohlestiften die Unerhörtheit einer Bilderbuch-Idylle einzufangen, deren landschaftliche Schönheit alles in den Schatten stellte, was die alte Welt bis dato kannte.

Inspiriert dazu hatten ihn Handel treibende Landsleute. Diese hatten auf ihren Geschäftsreisen nach Italien entlang des Rheins eine kulturhistorische Sensation entdeckt:

Die  a n d e r e  Ruine!

„die andere Ruine“: Wernerkapelle zu Bacharach und  d a s Bausymbol der Rheinromantk. Von Victor Hugo verehrt als „prächtiges Gerippe“

Bis dahin verstand der Zeitgeist unter dem Begriff Ruinen u a. bauliche Zeugnisse mehr oder weniger ruhmreicher Epochen der Antike, die mehr oder weniger gut erhalten waren. Man nannte sie klassische Ruine und begegnete dem, was von ihrem Glanz geblieben war, mit Respekt vor der Macht ihrer Historie.

Die Ruine im Rheintal aber war mehr als steingewordene Geschichte!

Sie berührte die Seele! Wer von den Hängen der wilden Flusslandschaft ihre stolze Schönheit leuchten sah, fing an zu träumen..

Zum Verständis jener Schwärmerei, kann ein Blick ins längst vergangene Mittelalter nützlich sein: die einst blühende Region an Europas größtem Strom und ein Juwel der alten Zeit, lag in Trümmern. Dreißigjähriger und Pfälzischer Erbfolgekrieg hatten einen ausgebrannten Landstrich schändlicher Verwüstung hinterlassen.

auch Ruine: unsere Stadtmauer, nach Beschuss und Brandschatzung gemausert zum topromantischen Wandelgang 

In dieses Brachland nun, das von der neuen Zeit noch nicht entdeckt und von der alten längst verstoßen war, fiel strahlend die Natur mit einem Feuerwerk an Wildwuchs, Flieder, Efeu, Goldlack ein. Sie eroberte die Mauern ausgebrannter Türme und verlassene Hinterhöfe, durchgeisterte uralte Gewölbekeller und tröstete die verlorene Ehre toter Rittersäle.

Was aber keineswegs das Ende lebendiger Geschichte war: Eine verschrobene Welt menschlicher Ansiedlungen hatte im Hagelschlag des Niederanges überlebt.

Ein köstlich durcheinander gewürfelter Bauchladen

war das aus wunderlichen Giebeln und Balkonen, schnarrenden Wetterfahnen und verkramten Hinterhöfen, und all das rief: „Wir sind immer noch da, ungeheuer!“

war bereits 271 Jahre alt,  als Lambert Doomer zu Besuch kam: das „Alte Haus“

Doch nicht die „finstere“ Epoche von Hexenverbrennung, Pest und Cholera und anderen Vernichtungsfeldzügen wider die Menschlichkeit. Nein, das vom Schrecken abgespeckte, stille Glück im Winkel einer heilen Welt, die es auf diese Weise nie gegeben hat, von der aber alle glaubten, man hätte sie wieder entdeckt.

Was folgte, war ein wahrer Ansturm Reiselustiger auf die Märchenwelt am Rhein.

für manchen Gast immer noch „Märchenwelt am Rhein“: Bacharach

Nach den Künstlern aus den Niederlanden begaben sich die Engländer auf ihre berühmte Continental-Tour, dann die deutschen Koryphäen aus Philosophie und Dichtkunst. Schlussendlich erhielt auch jene sonderbare Schwärmerei der neuen Zeit ihren offiziellen Namen. Er klingt wie Musik:

 „ R o m a n t i k “.

Die Kohlezeichnung des Brunnens vor dem „Kretsche Haus“*) entstand ca. 100 Jahre vor der offiziellen, kulturgeschichtlichen Epoche der Romantik. Die Entdeckung der Landschaft und die Begeisterung für ihre Schönheit öffneten den Weg dorthin. Das Bild Lambert Doomers ist ein frühes Zeugnis dieser Zeit. Schon pfiffig, was so `ne unscheinbare „Unnergass“ zu bieten hat…

NACHTRAG:

Fotos des Geschichtsvereins:

Ein herzliches Dankeschön gilt Walter Zahn. Der stellv. Vorsitzende des Geschichtsvereins konnte nach mühevoller Sucharbeit in dreißig Jahre alten Unterlagen des Archivs wichtige Foto-Dokumente zur Verfügung stellen.

*) „Kretsche-Haus“ (Volksmund):

Der frühere Besitzer war unter Tage beim Schiefer-Abbau in der „Grube Rhein“ tätig. Die Grundmauern stammen aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg, der Fachwerkaufbau aus der Zeit danach (erkennbar an den kurzen Balken).

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