Rund um Bacharach - Ein Blog von Friederike Schikora

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das „Musik-Tempelsche“ und „der Kilsbach“

das „Musik-Tempelsche“ und „der Kilsbach“

Man hat durchaus was zu erzählen, wenn man alt und grau ist, doch wen interessiert das? Die Zeit wird überrollt von Ereignissen, die die Welt von gestern auf den Kopf stellen. Wer hört Dir schon zu bei diesem Tempo! Alles muss im Affenzahn über die Bühne gehen, was auch immer, Hauptsache es flutscht. Darum zur Abwechselung eine Geschichte aus einer Zeit, die noch ganz langsam lief und völlig ohne Lautverstärker aus kam. Es geht ums „Mussick-Tempelsche“ anno 1950. Und um den alten Kilsbach!

 

Besagtes „Tempelsche“ stand am damals noch sehr stillen Rheinufer auf Höhe des alten Marktturms.

Es verfügte über ein kreisrundes Spitzdach, das von  stabilen Säulen aus Eichenholz getragen wurde, war an allen Seiten offen und schneeweiß angepinselt.

Es leuchtete wie ein Kieselstein, war die Attraktion der Rhein-Anlagen und meeting-point von anno dazumal für festliche Empfänge und einmal in der Woche nur für „die Mussick“ da.

Platzkonzert mit Pauken und Trompeten

Jeden Sonntag Morgen bewegte sich eine Handvoll Bacharacher Mannsleut mit glitzerndem Handgepäck den Bahndamm entlang zum „Mussick-Tempelsche“. Ihr Ziel: ein furioses Platzkonzert, das die Stadt aus ihrer verpennten Morgenstille riss.

„Der alte Kilsbach“, unser Nachbar in der Zollstraße und im Nebenberuf Fleischbeschauer, war Chef an der Posaune. Er stammte aus einem gewaltigen Kasten von Fachwerkhaus mit einer Unzahl buckliger Räumlichkeiten aus knarrenden Dielen und schiefen Wänden, auf die sich ein traditionsbewusstes Geschlecht ortsansässiger Jägersleut verteilt hatte.

 

Haus der Kilsbachs in der Zollstraße (unten rechts Gemüsegeschäft der Paula)

 

Die letzten ihrer Art waren  „Kilsbachs Emil“ (+), Waldhüter für die Jagdreviere Bacharach Nord und Süd; sein Bruder Willi, ein bekannter Falkner, lebt noch in der Mainzer Straße. Die Ausnahme von der Regel verteidigte in ferner Zeit „die Paula“ mit ihrem Gemüsegeschäft im Erdgeschoss.

Zurück zum „alten Kilsbach“:

Der saß jeden gottgewollten Tag seiner über hundert Lebensjahre unter dem Lindenbaum auf einer Bank. Die war mindestens so alt wie er selbst und heiß umschwärmter Nachkiegsspielplatz für die Kinder der Stadt.

 

Bank unterm „Lindebaum“ (gegenüber kath. Kirche)

 

Der „alte Kilsbach“ hatte Raum und Zeit durch stoßende Zigeuneraugen, die jedem hinterher mäanderten, der den „Lindebaum“ passierte, und war umflort von der Aura derer, die der Tod erst holt, wenn sie überfällig sind.

 

„Lindebaum“ 

 

Eine der ersten Gewissheiten meines Lebens war denn auch: wer nur lange genug hockt unterm “Lindebaum“, wird alt wie Methusalem und gesegnet mit der Haltbarkeit einer Mumie durch etwas Großes, das aus der Linde kommt.

Doch einmal wöchentlich geriet „der Kilsbach“ in Bewegung: sonntags auf dem Marsch zum „Mussick-Tempelsche“.

 

„Tempelsche“mit Stadtansicht: Burg Stahleck noch Ruine

 

Dort war der Mann

der Held an der Posaune

Diese war ein Instrument von allmächtiger Statur, dass dem Kerl beim Sitzen vom Boden bis zum Schnauzbart reichte. Unterm Schnauzbart blies der Kilsbach in eine Öffnung der Posaune, die so winzig war, dass man sie kaum mit dem restlichen Instrument in Verbindung bringen konnte.

Doch was bei der Aktion heraus kam, konnte sich hören lassen. Ein Sammelsurium stocktiefer Pfürze in Orkanstärke. Der Kilsbach pfurzte eine Stunde lang und blies dabei in furchterregender Weise das Gesicht auf.

 

Festgesellschaft aus der Nähe: wer war das?

 

Wir Kinder belauerten das Ereignis einen Stock tiefer vom Grasboden aus, immer in der Hoffnung, dass der Luftballon im Gesicht von dem Kilsbach gleich platzt. Aber er tat es nicht.

Unser Nachbar kam jeden Sonntag Morgen völlig unversehrt wieder den Bahndammweg entlang geschaukelt, unterm Arm sein außerordentliches Instrument und im Schlepptau all die so viel kleineren Geräuschemacher wie Querflöte, Klarinette und Jagdhorn nebst ihren belanglosen Besitzern ohne jede Strahlkraft. Wir Kinder waren fixiert auf die Spucke, die dem Kilsbach beim Blasen aus dem Maul lief – und scharf auf die Pauke!

Diese hing beim Marsch auf das „Tempelsche“ einem viel zu kleinen Mann auf einem viel zu dicken Bauch.

 

… am Bahndamm entlang zum „Mussick-Tempelsche“

 

Das machte „Herr und Gescherr“ so breit wie hoch und meinen Bäcker-Opa zum Meister scharfsinniger Erkenntnis: „Den Kerl kannste hochkant schibbele“ (kopfüber rollen).

Kurz vor dem „Tempelsche“ schlug der Paukenmann mit einem Tennisball an der Spitze eines spindeldürren Stöckelchens auf die Bespannung seines Instrumentes, woraufhin mit dem Urschrei des Entsetzens ein Schwarm Dohlen aus der Platane stürzte und alle Hunde der Umgebung von der Leine riss.

 

Ausschnitt Stadtansicht mit „Hotel Kranenturm“ (Markise)

 

Dann spielte die Musik einen mächtig dröhnenden Melodien-Reigen aus kellertiefen Schwermuts-Tönen und unverhofften Paukenschlägen, die die Grasbüschel der Parkbegrünung zittern ließen. Wir kleinen Gäste  – nix gewöhnt außer zarten Kinderliedern und frommen Chorälen unterm Weihnachtsbaum – standen wie vom Donner gerührt.  Schön wars trotzdem.

Die Mussick“ spielte unverdrossen eine ganze Stunde lang, dieweil dem Kilsbach unverdrossen weiter die Spucke aus dem Maul lief. Dann hob sie ab über die Stadtmauer, überrollte die Altstadt und posaunte die Botschaft in die Küchenfenster, dass jeder Tag ein neuer Anfang ist.

Frühschoppen und Sonntagsbraten

 

Stammtisch von Opa Johann Schnell im „kalte Keller“ (Volksmund)

 

Die Musikanten trollten sich zum Frühschoppen an den Stammtisch – der von meinem Bäcker-Opa war im „kalte Keller“ in der „Unnergass“  – und am Rheinufer legte der erste „Dampfer“ an und entließ einen Schwarm Touristen an Land, damals noch genannt „Fremde“. Die Frommen hoppelten in die Kirche, wir Kinder streunten schreiend durch die Grünanlagen und auf den Küchen-Öfen bruzzelte der Schweinebraten. Der Sonntag konnte kommen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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