Rund um Bacharach - Ein Blog von Friederike Schikora

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ewig her:   Z E I T   D E R   L I E D E R

ewig her: Z E I T D E R L I E D E R

Es war Anfang der fünfziger Jahre, die Dame hoch in den achtzig und ihr Organ den Hund verschreckend stimmgewaltig.

Sie trank drei Glas Riesling-Wein im altehrwürdigen Gasthaus, sang dazu aus vollem Hals und schwebte zwei Stunden später im Zustand paradiesischer Gelöstheit durch die schwere Eichentür wieder hinaus auf unsere „Obergass“. Jeden Donnerstag!

 

Die noble Witwe eines gewissen Herrn Oberamtsrates aus Rüdesheim kam immer mit dem „Schiffsche“ über den Rhein getuckert und bezog Platz auf der alten Holzbank vor dem lichtgedämpften Farbenspiel der Butzenscheiben.

 

Sitzbehaglichkeit hinter Butzenscheiben am „Alten Haus“ (nicht Ort der Handlung)

 

Ihr saß bereits eine stattliche Portion Unternehmungsgeist im Blick, wenn ihr betagtes Silberhaupt mit der strengen Würde derer, die bald für immer von uns gehen, im Türrahmen erschien. Und kaum hatte sie ihren Stammplatz in Beschlag genommen, erlebten Gäste und Belegschaft die Auferstehung alter Rheinlieder unter gnadenloser Befeuerung durch den Geist des Weines.

nur ein zarter, kleiner Schluck…

Das stimmungsfrohe happening eröffnete jedes Mal ein zartes Schlückchen „Riesling trocken“. Das ließ die Dame geschlossenen Auges und mit solch weltvergessener Hingabe in der Mundhöhle kreisen, als verkoste sie soeben den ersten Tropfen edlen Rebensaft in ihrem Leben und würde gleich heilig.

Haltestelle für`s „Schiffsche“ in den Bacharacher Rheinanlagen

Im selben Augenblick lief immer in der Küche das Personal zusammen, um zum längst nicht mehr gezählten Male durch die spaltbreit geöffnete Tür Zeuge der immer gleichen Zeremonie zu werden, dem Gesang einer Greisin, die nichts mehr zu verlieren hatte.

Der Reigen alter Weisen setzte an, nachdem das erste Glas geleert war, stieg schnell in die hohen Töne und trieb die Dogge Hannibal mit Karacho in die Flucht.

 

Die Belegschaft aus dem Reich der Kochtöpfe aber lauschte hingerissen.

Das Repertoire der Dame aus dem milden Rheingau umfasste alle gängigen Rheinlieder, steter Höhepunkt ein volkstümlicher hit mit dem stolzen Titel: „Warum ist es am Rhein so schön?“

Das wiederum warf bei der Belegschaft jeden Donnerstag aufs neue die Frage auf: Warum kommt da jemand einmal in der Woche von „de ebsch Seit“ her über den Rhein getuckert, um in Bacharach in immer derselben, altdeutschen Weinstube am Ende eines ungewöhnlichen Privatgastspiels aus vollem Hals immer dasselbe Lied zu singen? Eine Antwort darauf wurde nie gefunden.

 

damals wie heute hoch geschätzt: eine Bootsfahrt auf dem Rhein mit der „Goethe“,

 

Dessen ungeachtet veränderte sich der Gesamteindruck der betagten Witwe jeden Donnerstag mit steigendem Alkoholgenuss.

Sie wurde gelöst bis kess,

prostete mal diesem und mal jenem zu, der absolut nirgends herum saß, schmunzelte in sich hinein und aus sich heraus, verschwand zweimal aufs Klo und kehrte seelisch voll im Lot wieder zurück und verputzte sicherheitshalber drei Päckchen Salzstangen. Dann war sie weg. Bis zum nächsten Donnerstag.

So hat sich die Welt gedreht damals: Wem wohl ums Herz wurde, der fing an zu singen. Ob alleine oder in Gesellschaft, bei der Arbeit oder in der Badewanne.

 

zurück auf die „ebsch Seit“, wenn die Dämmerung von den Hügeln fiel (hier Lorchhausen)

 

Der Krieg lag erst zehn Jahre zurück, „Wohlstand für alle“ gab`s noch lange nicht für alle, aber alle Welt war schon mal dankbar, dass man überlebt hatte und eine Reise an den Rhein für Otto den Normalverbraucher ein Geschenk des Himmels.

Der schwarz gebrannte Schnaps, Seelentröster dunkler Zeiten, bekam charmante Konkurrenz vom edlen Rebensaft, dem ersten, kultivierten Lichtblick wirtschaftlichen Aufschwungs. Doch man gab sich bestenfalls beschwipst, mal mehr, mal weniger, allein die Gäste aus dem hohen Norden, auf Gerstensaft und Korn geprägt, schluckten Wein wie Bier und waren ruck-zuck blau – aber nie brutal betrunken.

Es gab noch den „schönen Suff“ !

 

Stimmung auch im „Alten Haus“: hier hat meine Oma einmal singend auf dem Tisch getanzt

 

Und alle Welt hat gesungen damals, voller Inbrunst abends in den Straußwirtschaften.

Es war die Zeit der Lieder!

Das Gutenachtlied meiner Kindheit waren alkoholgeschwängerte Choräle seliger Touristen, die es von gottweißwoher in die Straußwirtschaften meiner Nachbarschaft verschlagen hatte.

Ein Refrain brachte mich herrlich durcheinander. Er hieß „Jenseits des Tales standen ihre Zelte …“ und hat mich mit Fernweh verhext ohne Chance auf Heilung. Ich nahm es mit ins Leben.

 

Stimmungslieder auch auf der Stadtmauer beim Weinausschank auf den „Terrässje“, im „Rhein-Hotel“ und im „Kranenturm“

 

Der dramaturgische Aufbau der Geräuschkulisse aus den Straußwirtschaften ähnelte auf faszinierende Weise dem der feierlichen Weinverkostung jener Witwe aus dem Rheingau. Zunächst rieselte da nur aufgeräumte Plauderei durch mein gekipptes Straßenfenster, die aber nach einer Stunde von prallem Gelächter übertönt wurde.

Das war so gegen neun Uhr der Fall, jedoch zu einer Zeit, da dem Gast immer noch gehörig etwas an der korrekten Außendarstellung lag. Bei den Damen saß die Dauerwelle, beim Herrn der Schlips.

 

Nacht-Gesang aus der Straußwirtschaft vom „Karlsche“, heute Markus Heidrich

 

Ab und zu fiepte ein Wandervogel auf der Mundharmonika,

von irgendwoher klimperte eine Guitarre, und gelegentlich fiel mit hellem Schlag ein Amateur-Tenor mit einem Rheinlied ein und vertrieb mit seinem hohen „C“ die Katze von der Fensterbank.

Ab zehn Uhr dann kam schwerer Chorgesang vom Weingeist übermannter Seelen auf, entschlossen, konzentriert und mächtig und mit pfiffigen Solisten, die um jeden Preis beweisen wollten, dass man den Text der zehnten Strophe auch im Kopf hat und noch ganz hoch hinauf kommt!

Gegen elf zerbrach das Feuer in den hohen Tönen.

Von jetzt auf gleich. Niemand fühlte sich mehr fit genug, bei der intonierten Schwerarbeit mitzuhalten. Also versammelte man sich auf mittlerer Ton-Ebene, lehnte sich im Stuhl zurück, nahm noch einen Schluck – Prooooost! – und drehte breitbeinig auf.

 

Nachtgesang aus der Straußwirtschaft von Roland Heidrich  (verstorben), Weinbaupräsident des Mittelrheins (Straußwirtschaft geschlossen)

 

Wer es bis dahin nicht für möglich hielt, erfuhr es jetzt: in einer solchen Phase des Gemeinschaftssingens entwickelt der Refrain unvorstellbare Sprengkraft. Durch die Macht der Wiederholung! Die Wände wackeln, die Luft zittert und der Rhein fließt schneller.

Das war immer so gegen halb zwölf der Fall, wenn es ohnehin nicht mehr darauf ankam, wie viel wer geschluckt hatte und was denn nun: „Den Riesling, die Spätlese oder den Roten? – ach geh doch fort, Wein is Wein!“

Dann lachten die Damen furchterregend schrill

und die Mannsgesellschaft tief und dröhnend, und auf der Ortsdurchfahrt ging die erste Weinflasche zu bruch. Was folgte waren bleischwere Lieder von den Verhängnissen des Schicksals und der Macht der Liebe und danach ganz schnell Schluss.

 

Nachtgesang aus der Straußwirtschaft von „Haus Sickingen“ (geschlossen)

 

Die dröhnende Stille nach dem Sturm der Lieder lockte in meinem Kinderherzen alle Nachtgespenster aus dem Hinterhalt. Das tote Mondlicht der mit Fliegenkacke übersäten Straßenlampe warf mit seinem Schattenspiel des Grauens finstere Gestalten auf die Zimmerdecke, im Treppenhaus knackten die Fachwerkwände und auf dem Hof bellte der Hund.

 

mein Elternhaus: vor und nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt als „Bäckerei und Café Schnell“

 

Als die Sonne auf ging, brachte mein Bäcker-Opa „die versaut Gass“ vor unserem Café mit dem Wasserschlauch wieder auf Vordermann. O-Ton Opa:

„Das kimmt davon, wenn mer Wein wie Bier säuft…

Am Abend ging der Gesang in eine neue, unverbrauchte Runde.

 

Titel-Foto: 

Text von Friedrich G. Paff, Bacharacher Schriftsteller (u. a. „Die Hexe von Bacharach“)

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