Rund um Bacharach - Ein Blog von Friederike Schikora

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FRANCESCO – „der kleine Italiener“

FRANCESCO – „der kleine Italiener“

(ANFANG DER ACHTZIGER JAHRE):

Ich heiße Francesco. Ich bin ein kleiner Italiener und schon fünf Jahre alt. Mit meinem deutschen Freund Deniz von nebenan teile ich mir das stimmgewaltigste Organ aller Kinder in der Stadt.

Meine Eltern sind stolze Besitzer der Eisdiele Italia in der Bacharacher Oberstraße 2 und rotieren rund um die Uhr in italienischer Hektik. Seit vier Jahren rollen wir jedes Frühjahr mit einem Berg Koffer und Ladungen Spaghetti in Bacharach ein und hoffen auf prächtiges Wetter, damit die Lira in der Kasse klimpern.

 

 

 

 

Mein Papa ist Schneider und findet in Calabrien keine Arbeit

 

hier bin ich: rechts, zusammen mit Tante Adams von gegenüber und meinem Schwesterchen Maria

 

Darum sind wir hier. Zum Glück nur im Sommer und dann ist Weißgott nicht alles molto bene. Bei Regen schlagen die Touristen einen Bogen um unser entzückendes Eiscafé Italia.

Wer ein Italiener von Charakter ist, der bleibt in Calabrien,

dem herrlichsten Flecken Erde unter Gottes Himmel.

 

von hier komme ich: SORIANO in Calabrien

 

Aber als unmündiger Sohn geschäftstüchtiger Eltern wird man ja nicht gefragt, welche Temperaturen man bevorzugt. Fakt ist: ich habe haarige Zeiten unter einer knauserigen, deutschen Sonne hinter mir.

Im ersten Jahr meiner Verbannung aus meinem Heimatort  Soriano war es affig kalt im Land der Reben. Es regnete vom Himmel herunter was das Zeug hielt und Mama jammerte „Die Welt geht unter und wir werden Soriano nie mehr wieder sehen…..“.

 

unser Eiscafe Italia in der Oberstraße 2, gegenüber des Rathauses

 

Die Vision von einem Schrecken ohne Ende brachte mich völlig durcheinander. Ich verkroch mich hinter der Schaufensterscheibe unseres Eis-Cafés und machte Terror.

Mir war ätzend ungemütlich in der deutschen Bollerjacke,

und meine warmen Unterhosen kratzten fürchterlich am Speck. Mama hatte mich total unitalienisch bis zum Hals in deutsche Wintersachen gesteckt. Kein Wunder, dass ein Mensch da brüllt.

 

hier ist meine Schwestern Annamaria und Ritalucia in der Eisdiele

 

Wenn es ausnahmsweise einmal nicht regnete, wurde mein Mittagsschläfchen ohne Rücksicht auf Verluste der Saison geopfert. Zwischen Horden von Touristen musste ich in meinem Kinderbettchen aus Calabrien eine Stunde lang so tun, als ob ich schlafe. Döste ich tatsächlich ein, traf mich der Schrecken aller Schrecken, kaum dass ich wieder die Augen aufgeschlagen hatte: Knallbunte Strohhüte mit lärmenden Touristen-Gesichtern darunter starrten mir in mein italienisches Gesicht. Von jetzt auf gleich war ich wieder nur noch Stimme.

Zu allem Unglück schoben meine Eltern eine ekelhafte Laune:

der Eisverkauf lief auf Sparflamme! Die Saison hatte sich zwischenmenschlich wie finanziell als totaler Reinfall entpuppt. Jeden Abend grinsten uns mit bösem Blick die fast noch vollen Eisbehälter an.

Verteufelt unerfreulich, keine Frage, doch auf`s Glücklichsein geprägte Italiener lassen wegen ein paar schwarzen Zahlen nicht die Hoffnung fahren. Wir beschlossen, noch mehr zu beten als bisher, wir sind nämlich sehr fromm, hielten zusammen und schöpften Zuversicht. Daraufhin wurde Papa mutig und kaufte einen Eiswagen!

 

unser Eiswagen mit mir hinterm Steuer, da bin ich schon etwas größer

 

Mit dem Eiswagen steuerte er die „ebsch Seit“ als Absatzmarkt der Zukunft an, Mama und ich hielten in der Eisdiele die Stellung.

Doch der deutsche Dauerregen kannte kein Erbarmen,

und wo der Himmel Tränen weint, schmeckt das beste Eis nicht. Die Kunden blieben weg, und noch vor dem offiziellen Ende der Saison packten wir wieder unsere vielen Koffer, Kisten und Kartons und retteten uns ins warme Italien.

Die Fahrt durch Nord-Italien erlebten wir wie die Rückkehr ins Paradies. Es regnete nicht, die Sonne schien und Papa jubelte: „Wenn wir hinter ROM sind, wird bereits das Licht anders. Dann sind wir erst richtig in Italien!“ So kam es. Wir waren gerettet.

 

Papa: „Wenn wir hinter Rom sind, wird bereits das Licht anders. Dann sind wir richtig in Italien“

 

War das eine calabresische Begrüßung in Soriano. Meine zwanzigköpfige Verwandtschaft knallte mir das Gesicht voll nasse Küsse, und meine beiden Omas klemmten mich an ihre dicken Busen, zogen mich an den Ohren und befanden aufgeregt, ich sei gewachsen.

Das nächste halbe Jahr wurde nur gelebt,

und ich dankte unserem Schutzpatron San Domenico mit einem inbrünstigen, entgegen meiner Gewohnheit ausgesprochen leisen Gebet dafür, dass wir eine Heimat hatten, wo die Welt nicht unter ging.

Die Sonne schien vom ewig blauen Himmel und in dreißig Minuten waren wir mit dem Auto am Meer!

 

in dreißig Minuten mit dem Auto am Meer

 

Wenn wir wieder zurück in Soriano waren, durfte ich auf der Straße herum tollen, ohne dass Mama gleich wieder hysterisch schrie: Franschääääääääs – ein Auto! Das hat sie in Bacharach immer geschrien, als hätte ein kleiner Italiener nichts Besseres im Kopf, als in ein deutsches Auto zu rennen.

 

immer Ärger mit der deutschen „Obergass“: Franschääääs, ein Auto!

 

Es war ein herrlich heißer Winter in Calabrien und ich endlich kein Affe im Glaskasten mehr. Mama und Papa hatten mir zwar angedroht, im März ginge es wieder zurück zwischen die Eisbehälter. Aber so flink lässt sich ein kleiner Italiener mit kräftiger Stimme nicht einschüchtern.

Ich betete jeden Abend zu SAN DOMENICO

er möge bitte Mitte März in Calabrien ein infernales Erdbeben veranstalten mit brutalen Verwerfungen auf sämtlichen Zufahrtswegen via Norden.

 

der heilige Domenico

 

Möglicherweise aber habe ich im Sommer zu laut gebrüllt hinter der Schaufensterscheibe. Es wurde März und das Erdbeben ließ mich im Stich.

Abermals packten wir Berge voll Koffer.

Mama hat dazu leise geweint. Dann zuckelten wir mit vier Ersatzreifen, schwerem Dachgepäck und dem Kofferraum voller Spaghetti durchs nächtliche Italien, während meine Hoffnung auf ein Wunder restlos baden ging. Bis an den Mittelrhein waren die Straßen glatt wie mein Kinderpopo, der Rhein hatte Hochwasser und Bacharach ging im Nebel unter.

 

Nebel

 

endlich Rettung: lukrative Gutwetter-Periode!

Wider Erwarten ließ sich der zweite Sommer hinter der Schaufensterscheibe entspannter an. Gelegentlich schien sogar die Sonne. Als wollte sie sagen:`Jetzt hab ich mich schon ein wenig an Euch gewöhnt.´

Und nach ein paar Wochen holte der heilige Domenico für mich ein richtiges Wunder nach: eines Morgens ging die Sonne Italiens hinter dem zerzausten Berg von gegenüber auf und lachte nonstop durch bis zum Ende der Saison.

 

zerzauster Berg von gegenüber

 

Papa geriet mordsmäßig in Aktion. Früh am Morgen sprang er aus den Federn und verschwand mit jaulendem Motor und randvollen Eisbehältern in der ertragreichen Gutwetter-Periode auf der „ebsch Seit“.

Damals hat Papa das erste Mal seit einem Jahr wieder gepfiffen. Von nun anpfiff er jeden Tag, Mama machte Umsatz in der Eisdiele und kam kaum noch auf`s Klo.

Die Touristen belagerten die Theke, als gäb`s dahinter was umsonst.

Das Café war täglich rappelvoll mit Kundschaft aus der ganzen Welt, die wie geistesgestört Straciatella löffelte. Papa kam während der Geisterstunde mit der Eisherstellung kaum noch hinterher.

 

Mama bedient Kunden vor der Eisdiele

Im Trubel der beglückenden Ereignisse blieb Mamas Aufsichtspflicht auf der Strecke.

Ich lümmelte jetzt völlig unbewacht in der Eingangstür von unserem Eiscafé Italia. Es ist ein Himmelsgefühl für einen Italiener, wo auch immer in der Tür zu stehen und darauf zu hoffen, dass sich draußen in der Welt was tut.

Sobald jemand auf der Straße vorbei lief, rief ich: „Hallo komm!“ Was so viel heißt wie: „Spiel mit mir“, und die Bacharacher riefen: „Hallo kleiner Italiener“!

Ich rief zurück: „Wo du gehen?“ in der Hoffnung, dass daraus mehr wird, doch die Zeit für den Dialog der Nationen sollte erst noch kommen.

 

Aber Gegen Ende der Saison ereignete sich Bahnbrechendes:

ich kam in den Kindergarten!

 

im Kindergarten: viele andere Francescos!

 

Plötzlich umschwirrte mich ein Volksauflauf von deutschen Francescos, die alle mit mir spielen wollten. Inzwischen kann ich sogar deutsche Lieder singen und brülle deutlich weniger.

Nun sind wir den vierten Winter in Bacharach am Rhein. Ich habe mich nicht verplappert. Ich sage immer Winter zum deutschen Sommer. Und dieser Winter, nein Sommer, Quatsch: dieser Sommer-Winter in Deutschland lässt sich herrlich an. Ich tolle jetzt jeden Tag mit Deniz von nebenan auf dem Bürgersteig herum.

Mein deutscher Freund bringt seine deutschen Spielsachen mit. Wir bauen auf dem Gehweg deutsche Ritterburgen aus deutschen Legosteinen und brüllen auf deutsch und italienisch um die Wette. Mama hält kaum noch ein Auge auf mein südländisches Temperament.

 

unser Spielplatz: der Gehweg nebenan

 

Da das Geschäft besser lief, konnten wir uns menschliche Verstärkung leisten. Wir haben aus Soriano Antonio mitgebracht. Antonio ist mein verlängerter Arm zur Freiheit! Wenn keine Touristen den Eissalon stürmen, schwingt er mich auf seine starken Schultern und trägt mich durch die ganze Stadt.

Ich quietsche dann lang und furchtbar laut.

Immer wenn ich mich tierisch freue, muss ich quietschen, was die Kehle her gibt!

 

das sind Papa Federico und Mama Gemma Turcaloro

 

Was ganz anderes: Papa ist jetzt in der Stadt bekannt wie ein bunter Vogel. Wenn ich auf dem Weg zur Post an seiner starken Hand übers Kopfsteinpflaster stolpere, ruft er immerzu in alle Himmelsrichtungen „Gntaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaag“ und jeder, der uns über den Weg läuft, macht ihm das nach. Keine Ahnung, was damit gemeint ist, aber es klingt sympathisch und lässt weiterhin das Beste hoffen.

Ich bin jetzt in zwei Ländern auf der Welt zu Hause

und träume auf deutsch und italienisch. Die ganze Nachbarschaft ist inzwischen unser Freund. Ständig kommt jemand am Eis-Salon vorbei geschlendert und hängt meinem Papa ein Geschwätz auf. Der Gipfel der Geselligkeit aber ist erstürmt, wenn wir uns alle wie gackernde Hühner auf dem  Schaufenster-Sims von Inge´s Frisör-Laden von nebenan versammeln.

 

habe jetzt zwei Zuhause: eins davon ist Bacharach

 

Dann fehlt nur noch ein dicker Sonnenstrahl vom Himmel herunter und wir sind schon fast wieder in Calabrien. Wer wissen will, wie ein kleiner Italiener so viel Glück im Kopf aus hält?: Er holt tief Luft und quietscht aus vollem Hals…..

 

Nachtrag:

ein dickes Dankeschön an Gini und Thomas für Hilfe bei der Recherche und Bereitstellung von Bildmaterial !

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