Ich bin der Nebel. Das unfassbare Etwas aus der Welt der Elemente. Ich falle alle Sicht vernebelnd vom Himmel, vermassele unschuldige Betriebsausflüge und verstricke die Mittelrheiner in wirre Träume. Fakt ist: In welcher Eigenschaft auch immer ich die Welt beehre, man vermag mich nicht zu schätzen.
Brennt die Sonne vom Himmel, ist für sie der Tag von Gott geschenkt. Geistere ich um die Häuserecken, wird das nächste Wetter-Hoch herbei gebetet.
Mich verbittert besonders diese Ignoranz der Damen! Man sagt ja oft, die Frauen hätten`s gerne mit der Intuition. Woraus zu folgern wäre, sie seien eher in der Lage, zu erspüren, in welcher Mission der Herr mich schickt. Doch alle Weiblichkeit der Erde sorgt sich scheinbar immer nur um die Frisur.
Die Männer allerdings sind auch nicht klüger aufgestellt. Er tritt robuster auf, der Herr der Schöpfung – doch alles Täuschung! In Wirklichkeit zieht selbst der Kerl vom Bau vor mir den Hals ein!
Eine Hymne auf die alles überstrahlende Sinnhaftigkeit meiner Mission könnte dieser singen: Ein von der Hitze völlig ausgedörrter Sommer-Wingert, der halbtot im Herbst ankommt, empfängt mich wie die Rückkehr des Messias, treibt „die letzte Süße in den schweren Wein“*) und die Oechsle tanzen Samba. Aber kaum zurück zwischen den Fachwerk-Giebeln, empfängt man mich, als bringe ich sieben Jahre Missernte.
So manche Sommerhitze letzter Jahre, Leute, war absolut kein Segen für den Kreislauf! Solch ein monotoner Stimmungs-Level südländischer Sommerherrlichkeit, monatelang, jahrelang, ein ganzes Leben lang, muss doch auf Dauer in Überdruss und Depression ausarten.
Beispiel: Urlaub auf den Canaren. Hitze-Terror auf Sahara-Höhe. Kein Tropfen Regen. Schwere Beine. Immer schlapp. Gegen Ende des Martyriums hofft doch jeder, da bald wieder heraus zu kommen.
„Diese ewige Sonne“, stöhnt Mann/Frau und betet händeringend für eine belebende Energie-Zufuhr durch den deutschen Wetter-Wechsel. Doch kaum sind die Herrschaften zurück an den Gestaden des Rheins, wer schlägt ihnen als Erster aufs Gemüt – ich, der Nebel.
Am heftigsten trifft mich der Unmut gar nicht weltoffener Zeitgenossen. Diese depressive Wut von Wasserscheuen, die sich wegen meiner Wenigkeit einen ganzen Herbst lang keinen Blick mehr aus dem Fenster gönnen! Stelle ich die Nesthocker zur Rede, trollen sie sich beleidigt in die nebelfreie Zone hinter ihren Spanngardinen.
Dabei ist ein Herbstspaziergang im Dauernebel wie gemacht für robuste Selbsterneuerung!
Meine Empfehlung deshalb: nutze einmal – wenn möglichst außer Dir kein Mensch mehr unterwegs ist – irgendeinen Tag im Nebel und lass Dich nieder auf einer Bank am Rhein. Strecke Deine Beine aus und
l a s s e D e i n e S e e l e b a u m e l n .
Hab keine Scheu davor, in Dich hinein zu lauschen. In Dir haust nichts Abgründiges. Du kannst ohnehin nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.
Nur ein Frachtschiff draußen auf dem Wasser wummert leise, auf der „ebsch Seit“ röhren die Hirsche im dichten Niederwald, zu Deinen Füßen flüstern leise die Wellen mit der Uferböschung – und der Lauf der Zeit steht still.
Und dann, ja dann lockt es Dich hinaus aufs Wasser! Rauf auf die Kommandobrücke zu dem unbekannten Kerl dort hinter dem Radarschirm. Du geisterst übers Deck und inspizierst die unbekannte Fracht aus einem unbekannten Hafen tief im Bauch des massigen Containers – und Du opferst Deinen Seelenfrieden für die Antwort auf die Frage aller Fragen: wohin wohl mag die Reise gehen für den fremden Schiffische von irgendwo?
Nach Rotterdam vielleicht, dem Tor zur Welt? Und von dort ab nach Übersee zu fremden Ländern und verlorenen Inseln am Rand der Zeit und schließlich zum geheimnisvollsten aller Schätze, der irgendwo vergaben liegt auf einem Eiland in der göttlichen Karibik.
Und wenn´ der Himmel mit Dir ist, meldet sich auch jene herrliche Vision wieder zurück, die sich ein Leben lang im letzten Winkel Deines Herzens vor der Welt versteckt gehalten hat. Hebt ab mit der Urkraft aller Sehnsucht weit über den Horizont hinaus, dorthin, wo m e i n e Nebelschwaden eine Botschaft in den Himmel malen:
P. S..
Sitzkissen und warme Unterhosen nicht vergessen!
*) aus einem Herbstgedicht von Rainer Maria Rilke