Jede Stadt hat ihre Originale. Besonders in fernsehlosen Zeiten wärmte oder rieb man sich gerne an der kurzweiligen Andersartigkeit besagter Zeitgenossen. Niemand weiß warum, aber sie starben langsam aus.
Ein letztes Exemplar dieser Art war in unserer kleinen Stadt FRITZ BASTIAN. Er ist zwar schon viele Jahre unter der Erde aber immer noch in aller Munde.
Kurz: der Mann scheint unvergessen.
Seine Aura mit den hochgebockten Schultern über kurzen Trippelschritten scheint immer noch um den „Grünen Baum“ zu geistern.
Was Wunder auch, verfügte „der Fritz“ doch über einen exzellenten Weinverstand, bauernschlaue Wendigkeit und akademischen Witz. Wenn ein solcher Mensch stirbt, geht mit ihm ein Stück Lokalgeschichte.
Man eröffnet das Gespräch am Stammtisch mit einer klugen Hinterlassenschaft aus seinem Munde wie beispielsweise dieser: „Der Fritz hat einmal gesagt
Dann kann es sich ereignen, dass jemand das noch toppt und fordert, dass endlich offiziell gewürdigt wird, was „der Fritz“ einmal für Bacharach bedeutet hat. Das hole ich jetzt nach. Ich schreibe über den Fritz.
Fritz Bastian war Besitzer des Weinguts „Grüner Baum“ und ein Winzer von herausragendem Bekanntheitsgrad am Mittelrhein. Er war auch erster Vorsitzender der Weinzunft Bacchus von Bacharach, der nach eigenem Bekunden ältesten Weinzunft der Welt (! ) und Mitbegründer des noblen Verbandes Deutscher Prädikatsweingüter. Soweit das eher Amtliche.
NUN DAS PERSÖNLICHE:
Mit brillanter Redegewandtheit ein Auditorium zu entflammen, ist nicht unbedingt Jedermanns Sache. Auch nicht weit über den sachbezogenen Weinverstand hinaus loderndes Allgemeinwissen. Für den Fritz aber durchaus!
Eine Weinprobe in seinem Hause geriet für Gäste denn auch immer zu einem informativen Durchmarsch in die Welt von fast allem.
So zum Beispiel in die der mittelrheinischen Flora und Fauna inklusive tierbiologischer Einblicke in die Lebensgewohnheiten von Waschbären, die auf der „dem Fritz“ gehörenden Insel hausten, wo die Viecher freilich nichts zu suchen hatten, sich aber frech vermehrten wie die Hasen.
Und dort an einer Rebe mit dem absonderlichen Namen Huxel knabberten, von deren Existenz unter Gottes freiem Himmel der gemeine Durchschnittsbürger bis dahin nie etwas gehört hatte, die seit Jahren aber, wie gesagt, auf der Insel göttlich gedieh und dort im viel zitierten „Kleinklima“.
Ein absolut bemerkenswertes, wetterkundliches Phänomen ist das, dessen segensreiche Auswirkungen auf das Reb-Wachstum „der Fritz“ bei jeder Weinprobe gerne noch in einem seiner vielen Nebensätze untergebracht hat.
Inklusive fliegender Abstecher beispielsweise in die geologische Beschaffenheit des Flussbettbodens, die rigide Preispolitik der EU und die galoppierende Auslandskonkurrenz der deutschen Weinwirtschaft im Besonderen. Und so weiter.
Wer das hinter sich hatte als Teilnehmer einer Weinprobe, ließ sich Zeit mit dem Wunsch nach einer Wiederholung. „Der Fritz“ löschte den Wissensdurst seiner Gäste mit der Wucht eines Wolkenbruchs.
Das Allgemeinwissen der Welt schien sich darin geballt zu haben. Wenn mir Informationen über weinbautechnische Zusammenhänge fehlten, Vorschriften der Denkmalpflege für die stilgerechte Renovierung unter Schutz stehender Fachwerkhäuser oder das Artverhalten der stecknadelwinzigen Schneckenmuscheln, die am „Ketzer“, vom Rest der Welt vergessen, ihre Spur ziehen, ich kontaktierte immer erst „den Fritz“. Und brachte sicherheitshalber eine Menge Zeit mit.
Doch der Fritz ging jedes Mal mit einem kosmischen Rundumschlag derart in die Vollen, dass ich mir schwor: das war das letzte Mal!
Um zu Hause am Computer den Vorsatz gleich wieder über den Haufen zu werfen. Mindestens zwei weitere Zeitungs-Berichte zu Themen unerwartet neuen Sachverhaltes waren abgefallen, weil „der Fritz“ wieder einmal nicht zu bremsen war.
Was ganz anderes: In meiner Jugendzeit haftete dem Fritz der begnadete Ruf eines Frauenhelden an. Heute sagt man „womenizer“. Ich weiß nicht, ob er wirklich einer war, aber er sah danach aus. Er hatte den gefährlichen Blick.
Was am gefährlichen Blick gefährlich ist, wissen nur die Damen. Die aber offenbaren ungern, wie das rein intellektuell gemeint ist, weil man besagten Blick vornehmlich dort spürt, wo es sonst niemand was angeht, sag ich jetzt mal so….
Auf jeden Fall war der Fritz in jungen Jahren heiß umschwärmt von schönen Frauen. Schließlich entschied er sich für Doris, die ideale Lösung.
„Mit der richtigen Partnerin kannst Du im Leben alles erreichen“, hat der Fritz einmal zu mir gesagt (auch einer seiner klugen Sprüche). So kam es dann auch.
Doris verzauberte mit ihrem sicheren Gespür für Atmosphäre den bis dahin etwas nackten Schankraum in eine Begegnungsstätte von umwerfender Behaglichkeit.
Blütenweiße, zarte Tüllgardinchen zierten jetzt die betagten Sprossenfenster, es gab leckere Vesperbrote und kleine, rustikale Mahlzeiten – alles freilich selbst gemacht – sowie pünktlich zur Federweißer-Zeit rheinischen Zwiebelkuchen, erhitzt im alten Kachelofen.
Zurück zu „dem Fritz“. Er war immer schon von dieser hoch gewachsenen Statur und hatte die dazu passende Stimme von einem Respekt einflößenden Bass-Barriton, breit wie sein Kellerboden.
Wenn „der Fritz“ einen Gast bediente, besser: ihm den Wein kredenzte!, wurde daraus immer auch eine Art Hospitalbesuch bei einem Kranken, der nur noch eine heilende Geste nötig hatte, damit er wieder fit aus dem Bett sprang.
Einen wunderbaren Spruch, den ich mit ins Leben nahm, verdanke ich „dem Fritz“. Von ihm war bereits die Rede. Er hat mich mit einer Jahreszeit versöhnt, vor der mir immer grauste: dem Bacharacher Winter. Es war hoch im Dezember, als „der Fritz“ ihn aus der Taufe hob.
In jenem Jahr hatte ein sibirisch kalter Winter das Rheintal heimgesucht und seit Wochen war nicht mehr richtig Tag geworden.
Niemand schien mehr willens, in dem gräuseligen Hundewetter einen Sinn zu sehen, da sprach „der Fritz“ in die gedrückte Stimmung am „Kapellen-Stammtisch“: „Eine Frucht, über die kein Frost geht, aus der wird nix“.
Die Tischgesellschaft zeigte sich spontan beeindruckt. Gefesselt von der barmherzigen Weisheit der Natur und einem Charakterkopf, der so ungeheuer viel von ihr verstand wie „unser Fritz“.
Seither macht für mich der Winter Sinn. Als etwas schmerzhaft Heiliges, das der Mensch wahrscheinlich nötig hat, um innerlich zu wachsen.
Auf der Beerdigung von „dem Fritz“, sie war ein gewaltiges Ereignis, haben viele Trauergäste geweint. Ich auch. Und beim Leichenschmaus im „Grünen Baum“ war man sich einig, dass mit „dem Fritz“ das letzte Original der Stadt dahin geschieden war.
Und dass es viele Winter nötig haben würde mit viel Frost, der über die Frucht geht, bis der Nachwuchs Bacharachs herausragende Eigenschaften stilvoller Andersartigkeit entwickelt wie „unser Fritz“.
Und dass eine Schreiberin wie ich mit dem Weinverstand von einer Maus dem letzten Original der Stadt wohl kaum gerecht wird. Vielleicht gelingt`s ja dem Geschichtsverein. Im „Heimatblatt Nr. 26“. lockt ein kleiner Nachruf: „Erinnerungen an Fritz Bastian“*).
*)“Heimatblätter zur Geschichte der Stadt Bacharach und der Viertäler“
Beitragsfoto: Familie Bastian