Rund um Bacharach - Ein Blog von Friederike Schikora

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rauf auf`s Schiff – eine Rheinfahrt in den Neunzigern

rauf auf`s Schiff – eine Rheinfahrt in den Neunzigern

Wer noch nie mit einem Schiff der „weißen Flotte“ den Rhein bereist hat, ahnt nicht, wie unerhört geräuschlos die Welt dort auf dem Wasser ist.

Wie tief es in uns hinein sinkt, dieses sonderbare Schweigen, und uns noch trägt, wohin wir gehen, wenn wir schon lange wieder an Land sind.

 

Mein „weißer Schwan“ heißt Stolzenfels.

Er ist benannt nach einer Burg im Rhein. In der Ferne nimmt bereits sein Milchabdruck im Dunst des frühen Nachmittags Gestalt über dem Wasser an, aber es braucht noch eine Viertelstunde, bis es mit dem üblichen Gerumpel vor mir an die Landebrücke poltert.

 

schön wie gemalt: die Stolzenfels!

 

Zeit genug also, mich der Magie des Flusstals hinzugeben. Oh ja Magie! Man kann nicht an einem gewaltigen Fließgewässer wie Europas größtem Strom verweilen und banal empfinden.

Große Wasser, große Gefühle, so ist das Leute!

Das Tal summt wie ein Bienenstock. Ein tonnenschweres Frachtschiff, wie ein Flusspferd bis zu den Nüstern tief im Wasser hängend, kämpft sich „zu Berg“ mit unfassbaren Tempo dreißig Fahrgeschwindigkeit. Meine Füße kribbeln von der Wühlarbeit der Schiffsmotoren, die mit ihrem zielbesessenen Durchmarsch rund um die Uhr das Rheintal in Vibration versetzen.

 

weit entfernt noch kämpft sich im Morgendunst ein Frachtschiff zu Berg

 

Vis-à-vis auf der „ebsch Seit“ rappeln dreißig Güterzug-Waggons im Lärmpegel von schwerem Kampfgeschütz rheinabwärts und spätestens jetzt, schätze ich, werden die letzten „Fremden“ auf den Promenadebänken hier erinnern, dass der Rhein seit altersher ein Handelsweg von strategisch herausragender Bedeutung ist.

Er war es bereits für die Kelten!

Die lebten übrigens, das muss einmal gesagt sein, in kosmischem Einklang mit Berg, Fluss und Tal. Ihre Spiritualität schwang in derselben Frequenz. Was wiederum erklärt, dass die Römer, die nach ihnen das Rheintal für sich entdeckt haben, nie wirklich verinnerlichen konnten, worum es hier eigentlich geht.

Erst die Romantik sollte den verschollenen Faden wieder aufgreifen. Eine Bootsfahrt auf dem Rhein greift nach dem letzten Zipfel davon, nach dem Zauber einer Zeit, die lange dahin ist und dennoch in fast jedem von uns heimlich weiter lebt.

 

keltischen Ursprungs: Bacharach, „an den Ufern der Poesie“

 

Der Rhein flimmert wie ein Meer aus Silbermünzen,

mitten drin erstrahlt „mein“ Schiff“, vom Pinselstrich der Sonne verzaubert in ein Meisterwerk aus dem Gemäldefundus William Turners. Keine Frage: mich erwarten unbeschwerte Stunden auf dem Wassser und Romantik pur!

Die alte Frau Hennrich (Name geändert), die hier am Kiosk der Köln-Düsseldorfer-Schifffahrtsgesellschaft bereits vor einer gefühlten Ewigkeit ihre stubbies an die Kegelbrüder verkaufte, hat mich unlängst darüber aufgeklärt, dass jene rattengrauen Filzhütchen längst nicht mehr en vogue sind.

 

… wie ein Meer aus Silbermünzen

 

Jene Standardspeckdeckel aus den Fünfzigern, die für jeden Kopf zwei Hutnummern zu knapp und mit Sehenswürdigkeiten in stummelkurzem Kleinformat von Oberdollendorf bis Oestrich-Winkel gepflastert waren.

Seit die Boys von der US-Army inclusive ihrer families von der Bildfläche verschwunden seien, so die Frontfrau mittelrheinischen Nachkriegstourismus, die jeden Schund „very nice“ fanden, würde nun mehrheitlich kulturbeflissenes business-Volk von der Ostküste der USA den Rhein bereisen. Das bevorzuge eher Stilvolles mit regionalem Bezug.

 

nix wie rauf auf`s Schiff!

 

Darunter verstünde der Amerikaner von heute Tischdecken gewaltigen Ausmaßes mit zu allem entschlossener Bestickung aus alpenländischem Trachtenmuster, weinrot und enzianblau, sowie Keramik jedweder Gestalt, USA-verständlich aufgehübscht mit Malmotiven von Oberammergau bis Schloss Neuschwanstein. Letzteres in fotografischem Großformat und auf Hartkarton gebannt der Renner par excellence.

Hoppla!

Ein satter Rumpler wider die Landebrücke verscheucht die Möwen vom Absperrungsgeländer. Mein „Weißer Schwan“ legt an. Hinauf aufs Schiff! Noch bevor es ablegt, stehe ich in der Kapitäns-Kajüte auf dem Dach des Oberdecks. Die „Rhein-Zeitung“ ist willkommen, und mein Blick über Europas größten Strom lässt bei mir die Träume fliegen.

 

ab hinter die Insel! Im Hintergrund Weinberg-Steillage „im Hahn“

 

Ein Pfiff schrillt auf, der Stahlboden unter meinen Füßen vibriert im filigranen Schauer eines fernen Erdbebens, wir legen ab!

„Die Stolzenfels“ löst sich lautlos vom Staiger der KD, schwenkt mit dem unerreichten Hüftschwung einer Schwanenseele in die Fahrtrinne und ruckzuck geht`s ab hinter die Bacharacher Insel. Hier verschluckt uns ein steinzeitlich verwildertes Flusstal.

Hoch über dem Rhein im steilen Hang starrt nackter Fels aus schwarzen Brombeerhecken.

Stummelkurze Apfel-, Birnen- und Aprikosenbäumchen strecken ihre Zausekronen in die watteweiche Sommerluft. Aus der Brache alter Weingärten, vom Zorn der Distel, von Klatschmohn, Klee und Efeu dicht verstrüppt, sticht totes Rebholz wehrlos in die grelle Sonne, und wie festgesteckt am Himmel lauert der Mäusebussard über einem unversehrten Paradies.

 

steinzeitlich verwildertes Tal

 

Er jagt nach Beute. Nach glücklichen Feldmäusen, glücklichen Hasen, glücklichen Siebenschläfern, alles beneidenswerte Kreaturen, deren Ende nicht beweint gehört, denn sie haben frei gelebt unter freiem Himmel, eh der Tod sie einholt. Wer hat das schon!

Kein Laut regt sich.

Die Grabesruhe kommt unvermittelt über`s Schiff und fühlt sich an wie ein kollektiver Hörsturz. Steuerbords schwebt der zottige Baumbewuchs von „Heylessen Werth“ vorbei, mundtot wie die Kulisse eines Stummfilms aus den Zwanzigern. Zu seinen Füßen stolpert das ausgefranste Insel-Ufer mit aus Wurzelwerk und Treibsand und von der Macht der Strömung glatt geschliffenem Gestein.

 

immernoch: wildes Tal

 

Und als sei das der verwunschenen Begegnung nicht genug, mustern uns tief aus dem Dickicht die toten Augen von zwei aus dem Lot gestürzten Fensterläden. Stückwerk des  geheimnisvollen Insel-Hauses ist das, in dem schon seit langer Zeit kein Mensch mehr wohnt.

Mir wird befangen heimatlich ums Herz.

Selbst der Kapitän signalisiert Wirkung. Er brummt: „Immer, wenn ich hier vorbei fahre, weiß ich, dass ich den richtigen Beruf gewählt habe“.

Er sieht unfassbar glücklich hinterm Steuerruder seines „Schwans“ aus, der Schiffer auf dem Rhein – und mich juckt das respektlose Bedürfnis, mir auszumalen, wie sich ein Kerl wie dieser hier mit einem Herzen voller Fernweh verändern würde, wenn man ihn zur  Akkordarbeit ans Fließband bei Opel abkommandiert. Oder als Buchhalter in die Spedition Raab Karcher am Binger Rheinufer. Soll und Haben, Kontokorrentrechnung, draußen tuckert ein Schiff vorbei…

 

 

auf Augenhöhe grüßt „die Pfalz bei Kaub“ (Burg Pfalzgrafenstein)

 

Vielleicht können Kapitäne ja Gedanken lesen, denn dieser hier meint verschwörerisch: „Auch Sie haben einen Beruf gewählt, der Ihnen viel Freiheit der Bewegung schenkt, nicht wahr?“ Gewiss doch, Kapitäne und Journalisten üben die besten Jobs der Welt aus, und das verbindet auf eine Weise, die nur versteht, wer in der selben Haut steckt.

 

auf Fels gebaut: Burg Katz über St. Goarshausen

 

Eine knappe Stunde später fällt in die Stille auf der „Stolzenfels“ mit schrillem Kratzton der Bordlautsprecher ein. Eine sanfte Frauenstimme haucht:

„Rechts sehen Sie in wenigen Augenblicken die Loreley…“

Helle Aufregung fährt in die Sitzgemeinschaft auf dem Oberdeck. Zwanzig Männer aus dem Lande Nippons in weißem Hemd und schwarzem Anzug springen von den abgewetzten Klappstühlen, reißen die Fotoapparate hoch und legen das rechte Rheinufer unter Dauerfeuer.

 

wir nähern uns der Loreley! 

 

Sie fangen jeden Felsen ein, der ihnen vor die Linse treibt. Als wir endlich die berühmte Steilwand erreicht haben, die in Japan fast schon heilig ist, sitzen die Trophäenjäger wieder auf ihren Allerwertesten und baumeln glücklich mit den Füßen.

Doch Sekunden später schallt ohne die Gnade einer Vorwarnung in voller Lautstärke das weltberühmte Loreley-Lied übers Deck:

„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten…“

Ein gemischter Chor singt, zart wie Zuckerwatte, die allbekannte Melodie von Friedrich Silcher.

 

verteufelt steil: der Loreley-Felsen

 

Sofort stürzen nochmals sämtliche Japaner, die das Lied schon in der Schule singen lernen, mit abermals gezückten Fotoapparaten an die Reling und legen eine Felswand, die im Prinzip genauso aussieht wie die gerade erst passierte, unter konsequenten Beschuss.

Mir sitzt ein Kloß im Hals!

Die Plötzlichkeit, mit der das wunderbare Loreley-Lied an dieser Stelle immer die Seelen einer ahnungslosen Bord-Gemeinschaft überrollt, setzt Emotionen wilder Rührung frei. Das funktioniert so, seit ich denken kann und hat sich bis heute nicht geändert.

 

war auch an uns vorbei geschwebt: die Liebfrauen-Kirche von Oberwesel

 

Eine weitere halbe Stunde später – alle Infos sind notiert – beziehe ich Position am Heck des Schiffes. Die Japaner waren in der Loreley-Stadt St. Goarshausen in einem Schwarm bacchantischen Geschnatters an Land getrippelt und hatten das Schiff in der Schweigsamkeit eines abgemähten Weizenfelds zurück gelassen.

Eine Traum-Kulisse aus Burgen und unsterblichen Ruinen war an uns vorbei geschwebt und hatte mit der Strahlkraft ihrer stillen Schönheit eine wuselige Mannschaft aufgekratzter Weltenbummler in eine fromme Pilger-Schaar verhext.

Meine kleine Reise ist zuende,

von den Hängen kriecht bereits die matte Patina der Dämmerung – doch da: ein letztes Bündel Sonnenstrahlen bitzt auf zwischen den Zinnen der Schönburg im steilen Hang von Oberwesel und lässt Fluss und Tal wie eine Fackel auf den letzten Atemzügen in sanften Farben leuchten.

 

hoch über Oberwesel grüßt die Schönburg, und von den Hängen kriecht die Dämmerung

 

Die tönen das Wasser hellgrün wie sattes Schilfgras nach einem schweren Regenguss. Ein Spalier Pappeln von unerreichter Schönheit spaziert an unserer Seite mit, bleibt stehen, läuft rückwärts, wird immer kleiner und sagt „Tschüss!“

Ich will es festhalten, dieses geheimnisvolle Leuchten der Natur, jene mystischen Sekunden zwischen Tag und Dämmerung, wenn das Land die Seele küsst. Und die nur erlebt, wer die Heimat wirklich liebt. Warum kann man nicht immer so glücklich sein …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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