Der Weg hinauf ist so verbissen steil, dass der Mensch darauf schon mal ins Schwitzen kommt, aber die Kraxelei lohnt sich!
Einmal oben auf der alten Stadtmauer, genießt der Gast einen Panorama-Blick, der die Träume fliegen lässt – wohin, davon wird noch die Rede sein.
Für Sicherheit ist auch gesorgt: Ein stabiler Handlauf, überall in Griffnähe, garantiert unbeschwerte Bummelei auf historischem Gestein.
Hinterm Rathaus auf der Mainzer Straße geht es aufwärts über ein Dutzend unscheinbarer Treppenstufen, und nach ein paar Metern lockt bereits das erste Rendez-vous mit dem späten Mittelalter.
Aus dem dichten Busch- und Baumbewuchs des Kühlbergs wächst ein alter Stadt-Turm einsam in den Himmel. Er heißt korrekt „Hut-Turm“ und ist alles andere als eine leblose Ruine. Er wird charmant bewohnt! Soviel ich weiß und dem Gerede nach von „einem Freund der Stadt“.
Der hat den Turm gepachtet und genießt, wenn er seinem Zweitwohnsitz die Ehre gibt, das Privileg naturnaher Wohnkultur. Nachts hupt das Käuzchen auf dem Fensterbrett, es fiept der Siebenschläfer aus der Dunkelheit und das Wildschwein quietscht im Unterholz.
keine Frage, aber nicht unbedingt in ausufernden Platzverhältnissen. Im Erdgeschoss kringelt sich die Miniaturausgabe einer Wendeltreppe bis hinauf ins erste Stockwerk, und das Dachgeschoss muss sich der schwindelfreie Gast über das Abenteuer einer Klapp-Leiter erobern.
Doch der Blick hinunter auf die Dächer Bacharachs entschädigt für alles und verklärt die platzbeengte Räumlichkeit des Hut-Turms zum lebenswerten Kuschelnest für Sonderlinge.
Weiter geht es auf unserem Trampelpfad durch die herrlich wilde Baum-, und Busch-Landschaft des Kühlbergs – und hoppla steht da plötzlich, aus dem Nichts herbeigestampft und überraschend mächtig, eine splitternackte Mauerwand im Weg.
weil sich ein paar Meter weiter ein schmalbrüstiges Klettertreppchen an`s Gemäuer klammert.
Dieses ist verteufelt steil und will ebenfalls noch kurz bewältigt sein, doch keine Sorge: ein Griff zum Geländer (sehr stabil!) verscheucht die Höhenangst, und wenn das nichts bringt, hilft der bewährte Lebensrettungs-Blick nach oben.
Auf der Mauerkante angekommen, umarmt den Gast die Gnade der perfekten Aussicht. Zu Füßen liegt ihm eine kleine Stadt von ausgesuchter Schönheit und der Rhein glitzert wie nirgends sonst wo auf der Welt.
Doch was den „bergseitigen Stadtmauerweg“, so heißt er im Behördendeutsch der Denkmalpfleger, was also den Weg hier letztlich so besonders macht, ist sein Gegenüber: DIE „EBSCH SEIT“ .
Was sieht man dort? Auf den ersten Blick einen vom Wildwuchs der Natur zerrupften Hügel. Wahrlich keine Null-acht-fünfzehn-Postkarten-Idylle. Doch wir Bacharacher wissen, was wir an ihm haben.
An ihm hätte sich die vielzitierte Flurbereinigung die Zähne ausgebissen, hätte sie es denn versucht. Doch sie tat es nicht, aus welchem Grund auch immer nicht, vielleicht aber doch, und die Strategen der allmächtigen Zusammenlegung hatten vor einer Gegnerschaft aus schroffem Felsgestein und steilen Klippen kapituliert.
Was man als Fügung des Himmels deuten kann, weil dies einem Sammelsurium puppenkleiner „Wingerter“ die Rückentwicklung in die Seligkeit des Urzustands ermöglicht hat.
Es weckt die Vision vom Wandern unterm Sternenhimmel und von Freiheit pur, und beim naturverliebten Eigenbrötler schon mal den Wunderglauben an die Heilkraft der Natur.
„Unser“ Berg ist schön zu jeder Tageszeit! Die Kanten seiner Felsen glitzern golden in der Abendsonne und in der Morgensonne silbern, und was dazwischen auf dem Armeleuteboden wächst, wird zäh wie Juchten: Im Kampf um Licht zum Leben klammern sich störrisches Gezweig von wilden Kirsch-, und Apfelbäumen, blickdichte Brombeerhecken, versprengtes Heidekraut und Flieder, Flieder Flieder, an einsame Hänge, die steil abstürzen ins Ungewisse eines Niederwalds aus wetterfestem Baumbestand.
Der ist glückliche Heimat für glückliches Niederwild, geworfen unter Gottes freiem Himmel, und ein Paradies für Hirsch und Reh und alle Vogelarten der Region. Und er ist Jagdrevier vom Feinsten für den Mäusebussard. Der zieht seine stillen Kreise über einem überraschend kultivierten Weg.
Dieser schlängelt sich parallel zum Rhein durch das archaische Vermächtnis und ist in Wanderkreisen sehr beliebt, weshalb er auch den feinen Titel „REINSTEIG“ trägt.
Unser Mauerbummel endet zu Füßen der Burg Stahleck. Hier trifft sich die Jugend der Welt! Kantine und modernisierte Räumlichkeiten werden hoch gelobt, und der Blick vom Innenhof hinunter über Stadt und Land ist rund um den Globus konkurrenzlos – aber das ist wieder eine andere Geschichte.
*) „EBSCH SEIT“
Laut WIKIPEDIA wird die Bezeichnung „EBSCH SEIT“ offenbar beliebig angewendet. Hier der Link:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%A4l_Sick?fbclid=IwAR36DGcUw8b7tH8Zbc9oOAbftVQXA6ha6_xtNmBUsyajHulF1Nd5N6ZpVYA (Abschnitt Mainz/Wiesbaden)
Danke Friedrich G. Paff und Achim Bastian für wertvolle Hinweise in der Sache!